Die 'freiwillige' gesetzliche Krankenversicherung

Alle Selbstständigen müssen sich in Deutschland gegen Krankheit versichern. Für Selbstständige in Publizistik und Kunst gibt es das günstige Sondersystem Künstlersozialversicherung, alle anderen haben zwei Möglichkeiten sich zu versichern. Sie können:

  • sich privat krankenversichern und bei einer privaten Krankenkasse auch den billigeren Basistarif verlangen, wenn sie weniger als sechs Monate in einer gesetzlichen Kasse freiwillig versichert sind,
  • sich zu Beginn der selbstständigen Tätigkeit für die freiwillige Weiterversicherung in einer gesetzlichen Krankenkasse entscheiden.

Freiwillige Weiterversicherung in der Gesetzlichen

Wer vor der hauptberuflichen Selbstständigkeit in der gesetzlichen Krankenkasse GKV) versichert war, kann in einer GKV bleiben. Das gilt nicht nur bei Arbeitsverhältnissen, sondern auch bei der Versicherung über die Arbeitsagentur, in der studentischen Krankenversicherung und über die Familienversicherung. 

Wer bei einem Wechsel des Erwerbsstatus in der GKV bleiben will, braucht erst einmal gar nichts zu tun: Bei dort bereits Krankenversicherten setzt sich die bisherige Pflicht-Krankenversicherung automatisch als freiwillige Versicherung fort, die Kasse informiert das Mitglied darüber. Wer seine Krankenkasse nun wechseln will, muss ihr spätestens zwei Wochen nach deren Hinweis auf die Fortführung der Versicherung den Austritt erklären. Der darf allerdings nur akzeptiert werden, wenn gleichzeitig "das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall" – also eine andere Krankenversicherung – nachgewiesen wird.

Wechsel von privat zu gesetzlich nur bedingt möglich

Wer durch den Beitritt in eine private Krankenversicherung seinen Austritt aus dem GKV-System erklärt, hat anschließend nur noch eine sichere Möglichkeit, während einer laufenden Berufstätigkeit wieder in eine gesetzliche Krankenkasse zu kommen: Die Reduzierung der Selbstständigkeit und der Beginn einer hauptberuflichen abhängigen Beschäftigung unterhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze von derzeit 69.300 €. Und zwar vor dem 55. Lebensjahr. Danach geht ein Wechsel nur in speziellen Ausnahmefällen. Eine weitere Möglichkeit, wieder in die gesetzliche Krankenkasse zu kommen und später gegebenenfalls mit einer neu aufgenommenen selbstständigen Tätigkeit in der GKV versichert zu bleiben ist es, beim gesetzlich versicherten Partner oder den Eltern in die Familienversicherung zu rutschen.
Die manchmal noch kolportierte Variante, über den Bürgergeld-Bezug in die gesetzliche zu rutschen, haut nicht hin: In dem Fall bleiben vorher privat Versicherte dies auch im Leistungsbezug und erhalten von der Arbeitsagentur einen Zuschuss zu den Beiträgen. (Siehe auch deren Merkblatt zum Zuschuss.) Anders ist es beim Bezug von Arbeitslosengeld: Hier ist eine Rückkehr in die Gesetzliche möglich. – Eine detaillierte Beschreibung der Rückkehrmöglichkeiten von der PKV in die GKV ist hier nicht Thema, dazu findest sich aber ein umfassender und verständlicher Text bei 'finanztip'.

Wer sich für eine freiwillige Versicherung in der Gesetzlichen entscheidet, kann anschließend jederzeit zu einer privaten Versicherung wechseln – in den Basistarif allerdings nur, wenn seit dem Ende der Pflichtversicherung noch keine sechs Monate vergangen sind. (Und auch dann gelten die strengen Regel zur Rückkehr in die GKV.)

Das fiktive Mindesteinkommen und die Beitragsbasis

Die (allerdings vom Verfassungsgericht abgesegnete) Ungleichbehandlung, dass Angestellte Beiträge immer anteilig vom Einkommen zahlen, Selbstständige hingegen einen Mindestbetrag, bleibt auch seit 2019 (stark gemildert) bestehen. Daneben bleibt es auch bei einer zweiten Ungleichbehandlung in der GKV: Bei freiwillig versicherten Selbstständigen sind – anders als bei gesetzlich Pflichtversicherten (inklusive Selbstständigen) – alle Einnahmen beitragspflichtig, die zum Leben zur Verfügung stehen. Also neben dem Betriebsgewinn beispielsweise das Bruttoentgelt aus einer (zugleich ausgeübten) abhängigen Tätigkeit, Einkünfte aus Kapitalvermögen oder Vermietung. Ist der oder die Lebenspartner/in nicht gesetzlich krankenversichert, werden sogar dessen oder deren Partner-Einkünfte zum Teil verbeitragt. Die Praxis deren Einkommen bis zur Hälfte beitragspflichtig zu machen, hat das Bundessozialgericht (BSG) in 2011 beschäftigt und abgesegnet (Az. B 12 KR 9/10 R), die Regeln haben entsprechend Eingang in die "Einheitlichen Grundsätze" gefunden (und zwar im § 2, Abs. 4 und 5). Deren Anwendung, so urteilte etwa das Landessozialgericht Hessen (LSG) mit Bezug auf das BSG-Urteil am 14.8.2023 (Az. L 8 KR 174/20), verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Das gelte  auch bei der freiwilligen Mitgliedschaft einer nebenberuflich Selbstständigen.  Verfassungsrechtlich, so das LSG, sei es geradezu geboten, insbesondere in diesem Fall das Partner-Einkommen in die Beiträge einzubeziehen. "Gleichheitsrechtliche Gesichtspunkte sprechen (...) nicht dagegen, sondern sogar dafür, eine durch das höhere Einkommen des Ehegattens bzw. Lebenspartners geprägte wirtschaftliche Lebenssituation des Versicherten nicht nur bei der Beitragsberechnung hauptberuflich selbständiger, sondern genauso bei der Beitragsberechnung nicht hauptberuflich selbständiger freiwillig Versicherter zu berücksichtigen."

Die Prinzipien der Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder sind seit Anfang 2009 in den Einheitlichen Grundsätzen zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder (Stand 23.6.21) vom GKV Spitzenverband festgelegt und ist damit für alle gesetzlichen Kassen verbindlich. Ob und wie einzelne Beträge verbeitragt werden steht im GKV-Katalog der Einnahmen (Stand 11.12.2023). Das führt auch dazu, dass über die Künstlersozialkasse gesetzlich Pflichtversicherte keine Beiträge für angestellte Nebenjobs zahlen müssen, alle freiwillig Versicherten hingegen auch dann mittelbar auf die Gehälter Krankenversicherungskosten entrichten. Das heißt: Obwohl ein angestellter Nebenjob formal beitragsfrei ist, profitiert davon nur der Arbeitgeber. Die hauptberufliche, freiwillig gesetzlich versicherte Selbstständige muss auf die Einnahmen aus der abhängigen Beschäftigung trotzdem Beiträge zahlen.

Die unterschiedliche Behandlung bei den Beiträgen gilt selbst für Menschen, die das gesetzliche Rentenalter erreicht haben: Wer dann in die Pflichtversicherung Krankenversicherung der Rentner wechselt, zahlt die Beiträge lediglich auf die gesetzlichen Rentenzahlungen, sowie auf Versorgungsbezüge und die Gewinne der selbständigen Tätigkeit. Bei freiwillig gesetzlich Versicherten im Rentenalter hingegen wird bei allen gesetzlichen Krankenkassen weiterhin grundsätzlich die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit für die Beitragsberechnung herangezogen.

Für gering verdienende Selbstständige ist und bleibt der größte Nachteil der 'freiwilligen' Versicherung, dass die Beiträge nicht ab der Geringfügigkeitsgrenze von 538 € auf das reale Erwerbseinkommen fällig werden, sondern (im Jahr 2024) auf ein angenommenes Mindesteinkommen von monatlich 1.178,33 €. Das führt zu entsprechenden Mindestbeiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung, die mit 185,00 € allein für die Krankenversicherung (je nach Einkommen) prozentual weit höher liegen können als die durchschnittliche Beitragsbelastung von ca. 16,2%. Hinzu kommen mindestens  40,06 € für die Pflegeversicherung. Ein Thema, das die ver.di-Selbstständigen schon seit Beginn der 2000er Jahre in viele Diskussionen mit Parteien, Sozialversicherungen, Rechts- und Sozialwissenschaften einbringen. Mit dem erfolgreichen Zwischenergebnis im Jahr 2018.
Bis Ende 2018 zahlten nur diejenigen unter den "freiwillig" gesetzlich Versicherten einkommensbezogene Beiträge, die in einem Einkommenskorridor zwischen 2.283,75 € und 4.425,00 € monatlich lagen. Wer – egal wieviel – darüber verdiente, zahlte maximal den Höchstbeitrag, wer darunterlag bis zu 40 % des Einkommens allein für die Krankenversicherung.

Die Beiträge seit 2019

Da der gesellschaftliche Druck wie die Einsicht stetig wuchsen, wurde im Koalitionsvertrag vom März 2018 zwischen CDU/CSU und SPD vereinbart, den Wert des angenommenen Mindesteinkommens für hauptberuflich Selbstständige auf 1.150 € zu senken und am 6.6.2018 ein entsprechender Gesetzentwurf der Regierung vorgelegt. Am 18. Oktober 2018 ist der Bundestag aber dem Beschlussvorschlag des Gesundheitsausschusses gefolgt, der eine noch weiter gehende Senkung ab 2019 bestimmt: Auf den "allgemeinen Mindestbezugswert", der heute nur für andere freiwillig Versicherte (etwa Rentner oder nebenberuflich Selbstständige) gilt. Beschlossen wurde konkret:

  • Die Mindestbeiträge Selbstständiger werden weiterhin auf Grundlage eines fiktiven Einkommens berechnet, jedoch wurde dieses angenommene Monats-Mindesteinkommen für 2019 von vorher 2.283,75 € um rund 56% auf 1.038 € gesenkt. Der Monats-Mindestbeitrag in 2019 lag damit knapp 200 € unter dem des Vorjahres. – Eine spürbare Entlastung für alle, deren Einnahmen im Korridor zwischen 1.038 € und 2.284 € lagen.
  • Freiwillig Versicherte zahlen, anders als vorher, keine Mindestbeiträge, solange sie Krankengeld oder Mutterschaftsgeld beziehen
  • Zugleich wurden die Sätzen 2 bis 6 des Absatz 4 im § 240 SGB V gestrichen und damit ein Wust kaum verständlicher Sonderbestimmungen für Selbstständige. Dadurch gilt der allgemeine Mindestbeitrag für alle "freiwillig" Versicherten und der oft abstruse Nachweis, ob eine haupt- oder nebenberufliche Selbstständigkeit vorliegt, entfällt.
  • Die teils entwürdigende Bedarfsprüfung entfällt. Vorher musste eine Notlage der "Bedarfsgemeinschaft" nachgewiesen werden, um den "ermäßigten" Mindestbeitrag von zahlen zu dürfen.

Für die Ermittlung der konkreten Beitragshöhe wird die steuerrechtliche Gewinnermittlung angewandt. Wer mehrere Einkunftsquellen hat, muss dabei beachten, dass für die Berechnung der Beiträge nur der sogenannte horizontale Verlustausgleich möglich ist. Das heißt: Nur die betrieblichen Ausgaben und Verluste der gleichen einer Einkunftsart werden anerkannt.  Das gleiche gilt für den Verlustvortrag nach § 10d EStG. Diese buchhalterische Verschiebung von Verlusten in ein anderes Steuerjahr findet außerhalb der außerhalb der allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften statt und mindert daher nicht das Jahreseinkommen aus der Tätigkeit.

Die vorläufige Beitragsberechnung seit 2018

Die Beiträge zur Krankenversicherung werden erst einmal vorläufig erhoben und erst mit dem Bescheid über die Einkommensteuer für das jeweilige Versicherungsjahr endgültig festgelegt. Es wird also (ähnlich wie bei der Einkommensteuer-Vorauszahlung) erst mit der Jahresabrechnung spitz abgerechnet und offene Beträge nachgefordert sowie Überzahlungen zurückerstattet. Auch das ist im § 240 SGB 5 (grundsätzlich) geregelt, die konkreten Ausführungsbestimmungen hat der Gesetzgeber den gesetzlichen Krankenkassen überlassen, die sich zu verbindlichen Grundsätzen zur Beitragszahlung freiwilliger Mitglieder (Stand 23.6.2021) verständigt haben.
Wie die Ermittlung der beitragspflichtigen Einnahmen aussieht, ist in dem Schreiben im § 6 beschrieben. Demnach muss ein Fragebogen ausgefüllt werden und die Kasse "entscheidet grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts, welche Beweismittel (Nachweise) sie für erforderlich hält". In der Regel wird der vorläufige Beitrag gemäß der Einkommensteuer-Vorauszahlungen festgelegt und sofern keine Vorauszahlungen fällig sind, "tritt anstelle des Vorauszahlungsbescheides ein geeigneter Nachweis der Finanzverwaltung". Ergänzend gibt es den oben bereits erwähnten Einnahmekatalog, der aufführt, welche Einnahmen,  Kapitalerträge und Versorgungsbezüge wie verbeitragt werden. 

Der jeweils letzte vorliegende Steuerbescheid ist die Maßgröße, auf dessen Grundlage die Abschlagszahlungen fällig werden. Aber: Damit die Steuerbescheide auch zeitnah vorgelegt werden, wurde die Regel aufgestellt, automatisch den Höchstbetrag (derzeit 843,53 € monatlich) zu verlangen wenn der Steuerbescheid nicht "innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres" eintraf. Das allerdings hatten die Krankenkassen so restriktiv gehandhabt, dass der Gesetzgeber Ende 2023 noch einmal eine Klarstellung festschreiben musste, die unter anderem die Verbraucherzentralen massiv eingefordert hatten. Deren Bundesverband konnte per vzbv-Pressemitteilung am  24.11.23 (dem Tag der Zustimmung durch den Bundesrat) die notwendige Neuregelung begrüßen: "Der Gesetzgeber hat ermöglicht, dass Krankenkassen die Beiträge rückwirkend senken müssen, auch wenn aufgrund säumiger Steuerunterlagen bereits der Höchstsatz von monatlich 800 Euro festgesetzt war." Konkret werden die Beiträge weiterhin nach drei Jahren endgültig festgesetzt, wenn das Mitglied seine tatsächlichen Einnahmen nicht innerhalb von 3 Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nachweist, aber zugleich wurde im Abs. 4a des § 240 SGB V neu geregelt: "Stellt ein Mitglied innerhalb von zwölf Monaten, nachdem die ... Krankenkasse ihm diese Festsetzung bekanntgegeben hat, einen Antrag auf Neufestsetzung der Beiträge, sind die Beiträge für das jeweilige Kalenderjahr neu festzusetzen, für das das Mitglied die tatsächlichen Einnahmen durch Vorlage eines Einkommensteuerbescheides nachweist."   
Vor dieser gesetzlichen Klarstellung hatten sich viele Krankenkassen auf den Standpunkt gestellt, dass nach Verstreichen der Dreijahresfrist unwiderruflich Höchstbetrags-Nachzahlungen (und Säumniszuschläge) fällig wären. Zudem hatten sie ihr Mahn- bzw. Erinnerungswesen sehr unterschiedlich gestaltet. Auch deshalb hat der Gesetzgeber für die Vergangenheit mit dem § 423 SGB V eine Übergangsregel geschaffen, die es erlaubt, auch für die Vergangenheit die Beiträge neu festzusetzen. 

Von Erstattungen profitieren – solange das angenommene Mindesteinkommen von derzeit monatlich 1.178,33 € in der gesetzlichen Krankenversicherung existiert – ausschließlich Versicherte, deren Einkünfte über der Mindestbemessungsgrenze liegen. Die Untergrenzen bleibt solange ein monatlicher Mindestbeitrag von derzeit 185,00 € (allein für die Krankenversicherung). – Für die allermeisten Selbstständigen war die Beitragsreform zu Beginn des Jahres 2018 übrigens eine echte Entlastung. Zuvor wurde der Beitrag nicht errechnet sondern stumpf auf Grundlage des letzten vorliegenden Einkommensteuerbescheids festgelegt. Rückzahlungen waren nicht vorgesehen, rückwirkende Beitragsforderungen jedoch sehr wohl möglich.


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