Bürgergeld (ALG II): Einkommen und Freibeträge
Bis auf wenige Ausnahmen werden beim Bürgergeld (ebenso wie bei der Alters-Grundsicherung) alle Einnahmen angerechnet – egal, wofür das Geld ist und egal, wann die Arbeit dafür geleistet wurde. Entscheidend ist allein, wann das Geld auf dem Konto eingeht: Die Tantieme für einen lange vor dem Bürgergeld-Antrag erschienenen Artikel, die im Februar 2023 ausgezahlt wird, wird ebenso im Februar 2023 angerechnet wie eine Steuerrückzahlung für Vorjahre, die im aktuellen Monat eingeht. Oder ein Lottogewinn. Oder Kindergeld. Für Selbstständige, die Bürgergeld beantragen wollen, ist es also schlau, eventuell noch vorhandene Außenstände möglichst vollständig einzutreiben – und erst dann den Antrag zu stellen.
Nicht angerechnet werden beim Bürgergeld
- das Elterngeld,
- Pflegegeld,
- Schmerzensgeld z.B. nach einem Unfall,
- die Eigenheimzulage, sofern damit eine im Sinne des Alg II "erlaubte" Immobilie finanziert wird,
- das Kindergeld für volljährige Kinder, die nicht im Haushalt leben und denen die Eltern dieses Geld überlassen, sowie
- zweckbestimmte Einnahmen. Hierzu zählte das Bundessozialgericht in seinem Urteil B 14/7b AS 16/06 R vom 6.12.2007 jedoch nicht den Existenzgründungszuschuss. Somit darf wohl auch der Gründungszuschuss, der mittlerweile an dessen Stelle getreten ist, auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden.
- Die Neustarthilfen, zählen nach § 3 Absatz 1a Bürgergeldverordnung ausdrücklich nicht zu den Betriebseinnahmen.
Einnahmen aus ehrenamtlicher Tätigkeit, die einkommensteuerrechtlich als Übungsleiterpauschale oder als Freibetrag für ehrenamtliche Tätigkeit gelten, werden ebenfalls nicht angerechnet. Genauer: Sofern es sich dabei um mehr als 100 € im Monat handelt, erhöht sich die unten genannte Pauschale von 100 € für Versicherungen, Riester-Beiträge und Werbungskosten auf exakt diesen Betrag – maximal also auf 250 € im Monat, sofern man die Übungsleiterpauschale von 3.000 € im Jahr voll ausschöpft.
Alle anderen Einkünfte der Bedarfsgemeinschaft werden zusammengerechnet, also z.B.
- Arbeitslohn,
- Sparbuchzinsen,
- Renten,
- Krankengeld,
- Arbeitslosengeld I,
- Kindergeld mit der oben genannten Ausnahme,
- Unterhaltszahlungen, Steuerrückzahlungen, Lottogewinne usw.
- Auch der Gründungszuschuss ist nach Auffassung der Arbeitsagentur keine zweckbestimmte Einnahme und wird daher auf das Alg II angerechnet.
- Corona-Soforthilfe und Überbrückungshilfen sind zweckbestimmte Einnahmen (§ 11a Absatz 3 SGB II), die ebenfalls nicht bei der Bürgergeld-Berechnung zählen. Allerdings wird - anders als bei den Neustarthilfen - bei der Abrechnung der Grundsicherung noch einmal geprüft, ob sie auch zweckgebunden, also zur Deckung betrieblicher Kosten, verwendet wurden. Wenn nicht, werden sie in diesem Schritt wiederum mittelbar als Einkommen behandelt. Werden in der Abrechnung Betriebsausgaben angegeben, werden diese Hilfen als Betriebseinnahmen gegengerechnet.
Bis 2008 war die Berechnung der Grundsicherung einfacher: Es wurde mit den steuerlichen Werten gerechnet. Seitdem werden selbstständige Einkommen beim Bürgergeld anders berechnet als bei der Steuer. Insbesondere kann nicht mehr alles, was das Finanzamt als Betriebsausgabe anerkennt, auch hier als Betriebsausgabe angesetzt werden. Diese steuerliche Abrechnung wurde faktisch durch eine Ermessensentscheidung im Job-Center ersetzt: "Ausgaben sollen nicht abgesetzt werden, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechen." In der entsprechenden Neuregelung des §3 der Bürgergeld-Verordnung (damals noch ALG-II-Verordnung) soll also das Fallmanagement entscheiden, welche Betriebsausgaben anerkannt werden und darüber befinden, ob sie den "Lebensumständen einer Bürgergeld-Empfängerin" entsprechen. Konkret regelt die Verordnung:
- Die bei der Berechnung angesetzten Einnahmen kann der Fallmanager "angemessen" höher ansetzen, wenn er höhere Einnahmen vermutet.
- Ausgaben werden nicht anerkannt, wenn sie zu den damit erzielten Einnahmen "in einem auffälligen Missverhältnis" stehen.
Betroffene müssen also mit der Agentur die (steuerlich anerkannten) Betriebsausgaben gesondert diskutieren und eine doppelte Buchhaltung besonderer Art führen: Eine für das Finanzamt und eine für die Sozialbehörde. Die besondere Aufzeichnung wird auch nötig, weil im Normalfall nicht mehr das Kalenderjahr sondern der Bewilligungszeitraum – in der Regel sechs Monate – für die Anrechnung beim Bürgergeld herangezogen wird.
Also: Wer im Hauptantrag der Arbeitsagentur angibt, dass Einkommen realisiert werden, muss die Anlage EK ausfüllen und sind darunter Einkommen als Selbstständige wird zusätzlich die Anlage EKS fällig. Die wird von der Arbeitsagentur in einem 6-seitigen Merkblatt HS (Hinweise für Selbstständige) erläutert. Mit dieser "Anlage zum Einkommen Selbständiger" werden vorläufig oder abschließend insbesondere die Betriebseinnahmen und -ausgaben erklärt. – Mit ein wenig Glück kann ein größerer Anteil der Angaben aus den Steuerunterlagen übernommen werden (die ja auch noch parallel geführt werden müssen), aber die Zahlen werden am Ende fast immer abweichen. Von den Einkünften werden bei der Grundsicherungs-Berechnung abgezogen
- eventuelle Steuern und Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung,
- 100 Euro (bei ehrenamtlicher Tätigkeit sogar bis zu 250 € – siehe oben) als Pauschale für
- Beiträge zu privaten Kranken- und Rentenversicherungen von Selbstständigen, die von den entsprechenden gesetzlichen Versicherungen befreit sind, sowie zu Kraftfahrzeug-, Hausrat- und ähnlichen Versicherungen,
- Beiträge zur Riester-Rente,
- Werbungskosten z.B. bei Arbeitslohn und Kapitaleinkünften.
- Außerdem wird abgezogen ein Freibetrag von
- 20 Prozent der Einkünfte zwischen 101 und 1.000 €
- 10 Prozent der Einkünfte zwischen 1.001 und 1.200 €
- für Personen mit mindestens einem Kind zusätzlich 10 Prozent der Einkünfte zwischen 1.200 und 1.500 €
Ab dem 1. Juli 2023 gelten veränderte Freibeträge:- Es bleibt beim Grundfreibetrag von 100 €
- 20 Prozent der Einkünfte zwischen 100 € und 520 € (Geringfügigkeitsgrenze)
- 30 Prozent der Einkünfte zwischen 520 € und 1.000 €(Geringfügigkeitsgrenze)
- 10 Prozent der Einkünfte zwischen 1.000 € und 1.200 €
- für Personen mit mindestens einem Kind zusätzlich 10 Prozent der Einkünfte zwischen 1.200 und 1.500 €
- Ohne Kind beträgt der Maximalbetrag 300 €, mit Kind sind es 330 €.
Bleibt am Ende dieser Rechnung von den Einkünften weniger übrig als das, was ohne jede Einnahme an Bürgergeld fließen würde, kann die Differenz als "Teilarbeitslosengeld" ausgezahlt werden. Für eine annähernde Abschätzung, mit wieviel Grundsicherung gerechnet werden kann, bietet es sich auch an, einen der Online-Rechner zum Bürgergeld zu bemühen. (Wir haben hier den von hartziv.org verlinkt, der mit wenigen Angaben auskommt.)
Wie wird das Einkommen von Selbstständigen ermittelt?
Selbstständige wissen in der Regel nicht im Voraus, wie viel Geld in den nächsten Monaten auf ihrem Konto eingeht. Also müssen sie ihr Einkommen schätzen (und auf dem Formular EKS "vorläufig" ankreuzen) – und die Behörde, die das Geld bewilligt, muss das grundsätzlich akzeptieren. Damit das einigermaßen reibungslos geht, sollte man ihr zum Vergleich alte Steuerbescheide und die Einnahmen der vergangenen Monate vorlegen und für Abweichungen möglichst einleuchtende Begründungen vortragen. Grundsätzlich reichen für Selbstständige als Einkommensnachweis erst einmal die Rechnungen aus, die sie ausstellen.
Ergeben sich von Monat zu Monat unterschiedliche Einnahmen, macht das so lange nichts, wie die Einnahmen im Rahmen der Schätzung bleiben. Wer überraschend zusätzliche Einnahmen hat oder unerwartet einen lukrativen Auftrag bekommt, sollte das der Behörde umgehend mitteilen. Dann wird der Bürgergeld-Anspruch von dem Monat an, in dem das unerwartete Geld eingeht, neu berechnet.
Trotzdem bleibt eine Einkommensschätzung eine unsichere Sache. Die bewilligenden Stellen bewilligen daher das Bürgergeld in der Regel zunächst nur vorläufig und nehmen die endgültige Berechnung später vor. Auch dazu wurden in der Bürgergeld-Verordnung (früher "Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung") Regeln aufgestellt:
- Im Normalfall ist der Bewilligungszeitraum auch der Zeitraum, der für die Einkommensberechnung herangezogen wird. Dabei wird für jeden Monat der gleiche Teil des im Gesamtzeitraum realisierten Einkommens angesetzt.
- Ist – etwa bei einer Dauertätigkeit – eine jährliche Einkommensberechnung sinnvoller, wird ausnahmsweise diese angewendet.
- Wenn, wie üblich, über die Leistungshöhe vorläufig entschieden wurde, kann das tatsächliche Einkommen im endgültigen Bescheid geschätzt werden, wenn es nicht innerhalb von zwei Monaten nach Ende des Bewilligungszeitraums nachgewiesen wird.