Selbstständig oder abhängig?
In den meisten Fällen ist alles klar: Wer selbstständig arbeitet, wer verschiedene Kunden oder Auftraggeber hat, wer Preise selbst aushandelt, ohne Weisungen von Dritten selbstbestimmt arbeitet und den Arbeitstag selbst einteilt, ist selbstständig. Kein Zweifel.
Allerdings: Nicht alle, die sich als selbstständig verstehen, sind es auch im Sinne der Gesetze. Die Entscheidung darüber, ob ich meine Arbeit als Selbstständige machen kann oder ob für mich nicht doch die verschiedenen Arbeitnehmer-Schutzrechte gelten, hat man aus gutem Grund nicht den Selbstständigen und ihren Auftraggebern überlassen. Die Kriterien sind gesetzlich nur sehr vage definiert und von der Rechtsprechung immer detaillierter ausformuliert worden.
Danach gilt als "beschäftigt", das heißt als Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerin, wer
- sich in einem Dienstvertrag (Arbeitsvertrag)
- persönlich zu einer bestimmten Arbeitsleistung verpflichtet hat,
- sich dabei dem Weisungsrecht des Auftraggebers unterordnen muss, vor allem was die Arbeitszeit und die Art der Tätigkeit angeht, und
- eingebunden in die betriebliche Organisation des Auftraggebers ist.
Im Abgrenzung davon gilt mit Sicherheit als selbstständig, wer
- sich in einem Werkvertrag verpflichtet,
- ein bestimmtes Werk (Arbeitsergebnis) zu liefern, das sie bzw. er auch durch Dritte anfertigen lassen kann,
- dabei selbst bestimmen kann, welche Aufträge er annimmt und wann, wo und wie er arbeitet, sowie
- mit eigenem Equipment in eigenen Räumen arbeitet.
Deutlich ist, dass es zwischen den beiden Polen "beschäftigt" und "selbstständig" noch eine Menge Spielraum gibt. Mit ihm befassen sich zahllose Urteile der obersten Bundesgerichte zur Scheinselbstständigkeit. Unklarheiten betreffen vor allem folgende Gruppen:
- Pauschalistinnen, z.B. an Tageszeitungen, Lehrkräfte in staatlich geregelten Kursen, "freie Mitarbeiterinnen" in Werbeagenturen, langfristig in den Betrieb eingegliederte Programmiererinnen und andere, bei denen der Verdacht der Scheinselbstständigkeit besteht, erfüllen häufig alle Bedingungen einer abhängigen Beschäftigung – und werden dennoch immer wieder rechtswidrig als Selbstständige oder "Freie" beschäftigt.
- Bei Handelsvertretern hängt es von der Intensität und Ausschließlichkeit der Bindung an den Auftraggeber ab, ob sie als Selbstständige oder Angestellte gelten.
- Gesellschafter-Geschäftsführer, also Leute, die zugleich beherrschende Gesellschafter einer GmbH und deren Geschäftsführer sind, können zur gleichen Zeit steuerrechtlich Arbeitnehmer und sozialversicherungsrechtlich Selbstständige sein.
- Mitarbeiterinnen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind generell als Arbeitnehmer zu beschäftigen (auch wenn sie als "Freie" nur Tagesverträge haben) – es sei denn, ihre Tätigkeit ist "programmgestaltend" und nicht "von vornherein auf Dauer angelegt".
- Für Mitwirkende an privaten Film- und Fernsehproduktionen gilt das Gleiche – dennoch weigern sich viele Produktionsfirmen, z.B. Cutterinnen "auf Lohnsteuerkarte" und mit gesetzlicher Sozialversicherung zu beschäftigen.
Zum Teil sehr detaillierte Regeln zu diesen Gruppen stehen in den Rundschreiben der Sozialversicherungsträger, auf die wir im Text zur Scheinselbstständigkeit näher eingehen. Neben diesen sozialrechtlichen Abgrenzungskatalogen gibt es auch einen des Finanzministeriums. Dessen "Künstlererlass" regelt schon seit Jahrzehnten, wie Kulturberufe und Tätigkeiten für den Rundfunk steuerrechtlich zu bewerten sind. Demnach sind ständige Mitarbeiter beim Rundfunk lohnsteuerlich abhängig beschäftigt, soweit sie nicht einem der im Erlass genannten über 30 Ausnahmeberufe nachgehen. – Dass die Kriterien der Sozialversicherungen und der Finanzverwaltung also nicht deckungsgleich sind, macht die Sache nicht einfacher. Es gibt dadurch viele Menschen, die sozial- und arbeitsrechtlich selbstständig sind, steuerrechtlich jedoch abhängig Beschäftigte.
In den folgenden Texten werden diese Regeln und die Probleme im Alltag für die wesentlichen "Problemgruppen" genauer dargestellt.
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