Wer profitiert von Scheinselbstständigkeit?

Der Grund für die Konstruktion einer nur scheinbaren Selbstständigkeit ist meist simpel: Abhängig Beschäftigte haben Anspruch auf Kündigungsschutz, Sozialversicherung, Lohnfortzahlung bei Krankheit, Urlaub, Tarifbezahlung und Mindestlöhne. Selbstständige haben diese Ansprüche nicht. Arbeitskräfte, die ohne diese Ansprüche formal selbstständig beschäftigt sind, sind wesentlich billiger. Allein schon durch den unterschiedlichen sozialrechtlichen Status um mehr als ein Fünftel: Zwischen der Beschäftigung einer Arbeitnehmerin und einem Selbstständigen liegen aus Arbeitgebersicht allein dadurch über 20 Prozent Kostenunterschied.

Nur sehr gesuchte Fachkräfte haben die Marktmacht, die höheren Kosten für die Sozialversicherung und die geringere Beschäftigungssicherheit einzupreisen und entsprechend hohe Honorare zu verlangen. Der übergroßen Mehrheit der echten wie der falschen Solo-Selbstständigen fehlt diese Marktmacht. Sie werden engagiert, weil es für die Abnehmer der Arbeit wesentlich günstiger ist, mit Dienst- und Werkverträgen zu operieren. Kein Wunder, dass eine IAB-Langzeituntersuchung zur Scheinselbstständigkeit im Jahr 2017 zu dem Schluss kommt: "Vor allem Geringqualifizierte und Berufseinsteiger gehören zu den Risikogruppen."

Allerdings: Kein Gesetz regelt konkret, was eine Scheinselbstständigkeit ausmacht. Auftraggeber können daher ziemlich leicht auch über Arbeitskosten statt über Produkte, Service und Dienstleistungen konkurrieren. Mit abenteuerlichen und skurrilen Konstruktionen schleifen sie dabei nicht nur Arbeitnehmerrechte, sondern machen es auch den ehrlichen Unternehmen der Branche schwer. Dass hier allein Gerichte entscheiden – und das auch noch in jedem Rechtszweig einzeln – ist ein gesellschaftspolitisches Problem. Eine Lösung über eine rechtliche Definition ist bislang immer an einer breiten Interessenskoalition (zu Lasten der Sozialkassen) gescheitert.

Zur Wahrheit gehört auch, dass nicht nur verkappte Arbeitgeber dem Sozialstaat Beiträge entziehen wollen. Das wollen auch allzu viele faktisch abhängig Tätigen, die unbedingt als Selbstständige gelten wollen. Am lautesten sind in den öffentlichen Debatten zu Formen der Scheinselbstständigkeit zurzeit jene Selbstständigen zu hören, deren Beruf größere Verhandlungsmacht und Einkommen schafft. Sie koalieren zum Thema gerne mit Arbeitgeberverbänden, weil das den politischen Einfluss erhöht. – Der Verlierer ist die Allgemeinheit, wenn es faktisch abhängig Beschäftigten gelingt, sich insbesondere dem solidarischen System der gesetzlichen Altersvorsorge zu entziehen.

Um zu verhindern, dass Arbeitgeber nach Belieben Arbeitnehmerrechte aushebeln und das System der solidarischen Sozialversicherung gefährdet wird, sieht unsere Rechtsordnung vor, dass angestellt werden muss, wer abhängig beschäftigt wird. Wer seinen Job weisungsgebunden und/oder in den Betrieb erledigt, kann nicht selbstständig tätig sein, selbst, wenn das von beiden Seiten gewollt ist und in einem Vertrag mehrfach betont wird. Und wer nur scheinbar selbstständig arbeitet wird, wenn das auffliegt, auch nachträglich mindestens sozialversicherungspflichtig und muss manchmal auch rückwirkend angestellt werden.


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