Behindern die Regeln moderne Arbeitsformen?

Gerne wird das Gerücht gestreut, die Überprüfung ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, zwinge viele Selbstständige, insbesondere im IT-Bereich, in die Anstellung. Das behindere die die Wirtschaft, gefährde den Standort und treibe Selbstständige ins Ausland, weil sie in (agilem) Projekten bei der heutigen Rechtslage kaum noch mitarbeiten könnten. All das ist natürlich grober Unfug, bei dem es darum geht, die eigene Beteiligung am allgemeinen Sozialversicherungssystem zu vermeiden. Tatsache ist allerdings, dass auch hochbezahlte IT-Kräfte und ihre Auftraggeber darauf achten müssen, dass – wie bei jeder anderen Tätigkeit – bei einer Gesamtschau des Verhältnisses die Selbstständigkeit überwiegt. Das ist bei einer völligen Integration in das Team des Arbeitgebers kaum möglich, sehr wohl jedoch, wenn die Aufgaben weitgehend frei erledigt werden. Da können agile Methoden sogar ein Indiz dafür sein, dass die Eingliederung in die Arbeitsorganisation geringer ist als in klassischen Projekten.

Hierzu hat beispielsweise das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Ende 2021 entschieden (Az L 8 BA 1374/20), die Freiheit, die ein Systementwickler in den agilen Projekten des Auftraggebers gehabt habe, spreche für seine Selbstständigkeit. Das Gericht führte zu den Projekten und der dabei angewandten Scrum-Methode aus: "Sie unterscheidet sich vom klassischen Projektmanagement in der Hinsicht, dass es keine Projektleitung mehr gibt (…). Für die 2-Wochen-Sprints wurden das Vorgehen und die Arbeitsaufteilung besprochen. Am Anfang dieses Sprints hat der Kläger mitgeteilt, wie viele Arbeitspakete er ungefähr erledigen will. Falls es in einer Woche weniger Pakete waren, hat er dies auch vorab mitgeteilt."

Ist die Freiheit zu entscheiden, ob und welche Aufträge erledigt werden gegeben, treten andere klassische Indizien in den Hintergrund. Deshalb entschied das LSG hier beispielsweise, eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation ergebe sich nicht zwingend, wenn wie hier wöchentlich drei bis vier Tage in den Räumen des Auftraggebers gearbeitet wird, entscheidend sei vielmehr die Abgrenzung zur Arbeit der Angestellten. Hierzu führte das Gericht als wesentlichen Unterschied auf, der Selbstständige habe "nur solche Arbeitspakete bearbeitet, welche sein Fachgebiet betrafen und hat in der Folge auch nur an solchen Besprechungen teilgenommen, welche die von ihm bearbeiteten Bereiche betrafen" und der Auftraggeber habe keine Möglichkeit gehabt, in zu anderen Projekten zu verpflichten. Zudem unterlag er keiner Anwesenheitspflicht und trug das unternehmerische Risiko. Bei der Betrachtung dieses Risikos schließlich sei der Umstand zu beachten, dass der Programmierer in einer "betriebsmittelarmen Dienstleistungsbranche" arbeite, "die im Wesentlichen durch den bloßen Einsatz von Know-How geprägt wird".

Kurz gesagt: Wird ein wenig darauf geachtet, dass die Selbstständigkeit eine unternehmerische bleibt – auch dieses Urteil nennt die gängigen Kriterien –, kann ohne Probleme für den Berufsstatus auch über längere Zeit und in enger Abstimmung mit dem Auftraggeber in dessen Räumen arbeiten.


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