Haupt- und Nebenberuf

Insbesondere die Sozialversicherung unterscheidet in einigen Fragen zwischen haupt- und nebenberuflicher Tätigkeit. Dabei gilt bei zwei bezahlten Tätigkeiten in der Regel diejenige als Hauptberuf, für die die meiste Arbeitszeit aufgewandt wird. Ist das nicht eindeutig festzustellen oder ergibt sich aus den entsprechenden Einkünften ein krass anderes Bild, so werden auch die Einkünfte in die Beurteilung einbezogen.

Wie diese Abwägung konkret vorgenommen wird, ist jedoch eine Ermessensfrage und hängt immer vom Einzelfall und häufig auch von der Institution ab, die das jeweils wissen will:

  • Die Krankenkassen neigten lange Zeit dazu, bei einer selbstständigen und einer nicht-selbstständigen Tätigkeit immer die abhängige Beschäftigung als Hauptberuf anzusehen. Das widersprach jedoch dem Sinn des Gesetzes und soll entsprechend der einschlägigen Richtlinie des GKV-Spitzenverbandes zum Begriff der hauptberuflich selbstständigen Erwerbstätigkeit (aktuelle Version vom 20.3.2019) nicht mehr vorkommen.
    Generell heißt es dort unter 3.1: „Wenn es gilt, die selbstständige Erwerbstätigkeit gegen eine oder mehrere abhängige Beschäftigungen gewichtend abzugrenzen, ist darauf abzustellen, ob die selbstständige Erwerbstätigkeit von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Umfang her die übrigen Erwerbstätigkeiten deutlich übersteigt. (…) Die dazu erforderliche Prüfung ist im Zweifelsfall nicht schematisch, sondern im Rahmen einer Gesamtschau vorzunehmen.“ Um zu einer relativ einfachen Abgrenzung zu kommen, soll, wenn sowohl eine abhängige als auch eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt werden, von ein paar Grundannahmen ausgegangen werden:
    • Wer in Vollzeit abhängig beschäftigt ist, hat für eine hauptberuflich selbstständige Tätigkeit – unabhängig von der Höhe des Arbeitsentgelts – keine Zeit.
    • Wer mehr als 20 Wochenstunden abhängig beschäftigt ist und damit monatlich mehr als die Hälfte der monatlichen Bezugsgröße (derzeit also 1.767,50 / 1.732,50 €) verdient, hat ebenfalls keine Zeit für eine zusätzliche hauptberufliche Selbstständigkeit.
    • Wer unter 20 Wochenstunden abhängig arbeitet und dafür maximal die Hälfte der monatlichen Bezugsgröße (1.767,50 / 1.732,50 €) erhält, ist mutmaßlich hauptberuflich selbstständig. Im Umkehrschluss spricht für die hauptberufliche Selbstständigkeit: Die Tätigkeit nimmt mehr als 20 Wochenstunden in Anspruch, wobei Vor- und Nacharbeiten, die Buchhaltung sowie alle anderen beruflich veranlassten Zeiten als Arbeitszeit gelten.
    • Zudem wird in der Richtlinie erst einmal angenommen, dass eine Anstellung von Beschäftigten eine Selbstständigkeit begründet, zu prüfen bleibt aber, ob es auch eine hauptberufliche Selbstständigkeit ist.
    Im Wesen von Grundannahmen liegt natürlich, dass sie im Einzelfall nicht zutreffen.  Immer dann, wenn Zweifel angebracht sind, ist eine Gesamtschau fällig, um – so die Richtline des GKV-Verbands – "festzustellen, ob die selbstständige Erwerbstätigkeit deutlich überwiegt". Da der Gesetzgeber dazu keine Anhaltspunkte definiert hat, hat es der GKV-Spitzenverband selbst so definiert: "Übersteigt die selbstständige Tätigkeit sowohl von der wirtschaftlichen Bedeutung als auch vom zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten um jeweils mindestens 20 %, kann von einem deutlichen Überwiegen ausgegangen werden; der vorgenannte Prozentsatz ist allerdings kein starrer Wert, sondern dient der Orientierung." – Im Streitfall müssen dann Gerichte entscheiden, ob die Gesamtschau der Krankenkasse einer rechtlichen Prüfung stand hält. Die Einkommen, die hier verglichen werden, sind übrigens der Gewinn (§ 15 SGB IV) und das Brutto-Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV), also alle Gehälter, Sachbezüge, geldwerte Vorteile etc., die für die Arbeit bezogen werden.
  • Bezüglich der Krankenversicherung der Rentner hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil Az. B 12 KR 4/13 R vom 29.7.2015 den Arbeitsaufwand als einziges Kriterium definiert: Wer eine gesetzliche Altersrente bezieht und währenddessen halbtags oder mehr selbstständig tätig ist, gilt als hauptberuflich selbstständig und wird daher nicht in die günstige Krankenversicherung der Rentner aufgenommen.
  • Die Arbeitsagenturen schauen primär auf die Arbeitszeit: Voraussetzung für den Gründungszuschuss ist, dass eine hauptberuflich selbstständige Tätigkeit aufgenommen wird, und das sehen die Agenturen als gegeben an, wenn der Gründer bzw. die Gründerin dafür mehr Arbeitszeit als für eventuell daneben weiter bestehende Beschäftigungsverhältnisse, mindestens aber 15 Stunden pro Woche aufwendet.
  • In Bezug auf den Übungsleiterfreibetrag gelten noch einmal andere Kriterien, die im Detailtext "Übungsleiterfreibetrag" dargestellt sind.

Wer als Hausfrau oder Hausmann tätig ist, bei der bzw. dem nehmen die Krankenkassen eine hauptberufliche Selbstständigkeit dann an, wenn dafür mehr als 30 Stunden pro Woche aufgewendet und daraus mehr als 25 Prozent der Bezugsgröße (das sind derzeit 883,75 / 866,25 € im Monat) verdient werden. Das gilt auch für den Fall, dass mehr als 20 Stunden pro Woche anfallen und mehr als 50 Prozent der Bezugsgröße  verdient werden. Verdient sie bzw. er mehr als 75 Prozent der Bezugsgröße (2.651,25 / 2.598,75 €), darf die Arbeitszeit sogar 20 Stunden pro Woche unterschreiten.

Keine Unterscheidung bei der Rentenversicherung

Die gesetzliche Rentenversicherung unterscheidet überhaupt nicht nach Haupt- und Nebenberuf. Hier sind die meisten Selbstständigen gar nicht versicherungspflichtig, in bestimmten Berufen jedoch sind sie es immer, sobald sie mit dem entsprechenden Einkommen die Geringfügigkeit überschreiten. Die Versicherungspflicht tritt in diesen Berufen (siehe auch §2 SGB 6) – auch wenn die selbstständig Erwerbstätigen daneben hauptberufliche angestellt sind – ein, sobald diese Tätigkeit einen Gewinn von über 538 € pro Monat einbringt. (Bei der Fortsetzung einer Rentenversicherung über die KSK, also bei weiterer künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit liegt die Grenze bei über 325 € im Monat.)

Bei identischem Arbeit- und Auftraggeber lieber nicht tricksen

Da für die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nur der Hauptberuf maßgeblich ist, versuchen einige Auftraggebern der Trick zu nutzen, Angestellte nur für ein paar Wochenstunden ein Gehalt zu zahlen und sie mit weiteren Stunden zusätzlich "nebenberuflich selbstständig" zu beschäftigen, um für diese Honorare keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen zu müssen. Wer das tut, muss sich auf Schwierigkeiten gefasst machen: Bei einer Betriebsprüfung stuft die Krankenkasse gleiche Tätigkeiten als einheitliches Beschäftigungsverhältnis ein und fordert die Beiträge auch für das vermeintliche Honorar nach. – Eine selbstständige Tätigkeit beim eigenen Arbeitgeber ist möglich, aber nur, wenn es sich wirklich um eine zusätzliche Tätigkeit handelt, die von den Aufgaben in der Anstellung eindeutig abzugrenzen ist. Nur dann liegt eine sogenannte gemischte Tätigkeit vor, bei der die Beschäftigungen rechtlich getrennt beurteilt werden. Die Gemeinsame Rechtliche Anweisung der Sozialversicherungsträger (GRA) zum § 7 SGB IV stellt hierzu fest, dass eine abhängige Beschäftigung und eine selbstständige Tätigkeit bei demselben Arbeit- bzw. Auftraggeber nur dann "nebeneinander stehen", wenn sie unabhängig voneinander ausgeübt werden.
Die GRA verweist auch auf einschlägige ältere Urteile des Bundessozialgerichts, dass in 2012 erneut feststellte (Az. B 12 R 1/11 R): "Eine einheitliche Beschäftigung ist anzunehmen, wenn eine selbstständige Tätigkeit mit einer abhängigen Beschäftigung derart verbunden ist, dass sie nur aufgrund der abhängigen Beschäftigung ausgeübt werden kann und insgesamt wie ein Teil der abhängigen Beschäftigung erscheint. ... Abhängig von der Art der Tätigkeit kann eine einheitliche Beschäftigung auch bereits dann bejaht werden, wenn aus der Beschäftigung gewonnene Kenntnisse und Erfahrungen für die Tätigkeit genutzt werden müssen und die Tätigkeit dem Arbeitgeber nützlich ist. ... Eine steuerrechtliche Beurteilung als Arbeitslohn oder als Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit ist für die Beurteilung der im Sozialversicherungsrecht eigenständig geregelten Arbeitsentgelteigenschaft nicht maßgebend."

Ein paar (ehemalige) Sonderregeln

  • Bei Tagespflegepersonen, die nicht mehr als fünf Kinder gleichzeitig betreuen, nehmen die Krankenkassen zwischen 2009 und 2018 an, dass sie nicht hauptberuflich selbstständig tätig sind. Diese Sonderregel gilt seit 2019 nicht mehr. Seitdem gilt für Tagespflegepersonen, dass sie unabhängig von der Anzahl der betreuten Kinder dann hauptberuflich selbstständig sind, wenn die Einkommen der Erwerbstätigkeit von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her das Gepräge gibt.
  • Bei Personen, die Gründungszuschuss oder Einstiegsgeld beziehen, gehen die Krankenkassen unabhängig von der Höhe und Dauer der Förderung ohne weitere Prüfung immer von einer hauptberuflich selbstständigen Tätigkeit aus.
  • Ist die weitere Tätigkeit neben der Selbstständigkeit ein Studium, gelten besondere Regeln, die im Text zu "Arbeitsgrenzen für die studentische Krankenversicherung" erklärt werden.

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