Wer entscheidet über Scheinselbstständigkeit?

Ob es sich in einem konkreten Fall um eine selbstständige Tätigkeit oder eine nicht selbstständige Beschäftigung im Sinne der Sozialversicherung handelt, entscheidet normalerweise die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV). Sie führt bei allen Unternehmen regelmäßig – mindestens alle vier Jahre (siehe § 28 SGB 4) – Betriebsprüfungen durch und nimmt dabei auch die Vergütungen unter die Lupe, die an selbstständige Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter gezahlt wurden.

Im Sozialrecht gibt es eine einfache Möglichkeit, den Status zu klären: Sind Auftraggeber und/oder -nehmer unsicher, ob sie einen konkreten Auftrag rechtssicher als selbstständige Arbeit abwickeln können, steht ihnen das "Statusfeststellungsverfahren" bei der Clearingstelle offen. Diese ist bei der DRV angesiedelt und entscheidet verbindlich, wie das Vertragsverhältnis einzustufen ist. (Natürlich kann gegen diese Entscheidung wiederum geklagt werden.) Das Verfahren ist in § 7a SGB 4 geregelt. Dort ist auch festgelegt, dass bei der Beschäftigung von Familienangehörigen sowie bei der Beschäftigung von geschäftsführenden GmbH-Gesellschaftern der Status verpflichtend festgestellt werden muss.
Seit vielen Jahren werden jährlich etwa 22.000 Anträge auf die Feststellung des Status gestellt und dabei in gut einem Drittel der Fälle eine Scheinselbstständigkeit festgestellt. Im Jahr 2023 beispielsweise wurde bei 22.649 optionalen Statusprüfungen 7.834 mal die sozialrechtlich abhängige Beschäftigung festgestellt. Im Schnitt dauert das Verfahren rund 100 Tage. Soweit gegen die Entscheidung der Clearingstellt ein Gericht angerufen wird, wird wiederum rund ein Drittel der Klagen voll oder teilweise zu Gunsten des Klägers entschieden. Im Jahr 2023 war das bei 1.083 Klagen 309 mal der Fall.  (Die Zahlen finden sich unter anderem in der Bundestags-Drucksache 20/12811.)
Bei den jährlich rund 40.000 Pflicht-Statusfeststellungen der Familienangehörigen hingegen wird fast immer eine abhängige Beschäftigung festgestellt. (Siehe dazu etwa die Regierungsantworten vom Juni 2024 in Drucksache 20/11712, Frage 98 auf Seite 71f.) Bei den Feststellungen der geschäftsführenden Gesellschafter steigen die Zahlen kontinuierlich, in 2023 lagen sie bei gut 5.000, von denen gut zwei Drittel sozialrechtlich eine versicherungspflichtige Beschäftigung sind.
Es gibt, um den sozialrechtlichen Status frühzeitig und rechtssicher zu klären, definitiv nur das Instrument des Statusfeststellungsverfahrens. Das braucht erfahrungsgemäß gut einen Monat. Die Angabe der DRV zur Dauer lautet: „Gesetzlich vorgesehen ist, dass das Verfahren innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein muss. Die aktuellen Laufzeiten liegen bei durchschnittlich 84 Tagen. Es gibt viele Fälle, die sehr viel schneller entschieden werden.“
Um das Verfahren zu optimieren traten im April 2022 einige Änderungen in Kraft. Die haben das sozialrechtliche Verfahren zwar optimiert, aber weiterhin können Gerichte und Behörden im Arbeits- und Steuerrecht immer noch zu unterschiedlichen Schlüssen kommen. Es gibt also auch nach einem Statusverfahren der Clearingstelle beispielsweise Menschen die arbeits- und steuerrechtlich als Selbstständige, sozialrechtlich jedoch als abhängig Beschäftigte zu behandeln sind.

Die Reform des Statusfeststellungsverfahrens zum 1.4.2022 änderte nichts an dessen Grundlagen: Es bleibt bei Einzelfallentscheidungen, denen keine feststehenden Kriterien oder gar ein gesetzlicher Kriterienkatalog zugrunde liegen. Die Änderungen betreffen vor allem Verfahrensfragen sind erst einmal befristet bis zum 30.6.2027, um dann die Maßnahmen noch mal zu überprüfen:

  • Im Statusverfahren der Clearingstelle wird nicht mehr über die Versicherungspflicht in den Sozialversicherungen entschieden, sondern "lediglich" darüber, ob die Tätigkeit selbstständig oder abhängig erfolgt. Damit geht die Statusbestimmung theoretisch schneller und mit weniger Angaben, allerdings muss dann in einem zweiten Schritt die zuständige Krankenkasse über die Versicherungsfreiheit oder -pflicht befinden. 
  • Seit April 2022 sind zudem Prognoseentscheidungen möglich. Es kann also schon vor Beginn der Tätigkeit um eine Einschätzung zum Status durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) gebeten werden und bereits bei Auftragsvermittlungen können Selbstständige, Vermittler oder Endkunden das Verfahren zur Statusfeststellung einleiten. Sicherheit schafft das aber nur, wenn der Job anschließend auf Punkt und Komma genau so ausgeführt ist, wie es vorher gegenüber der DRV angegeben wurde. 
  • Zudem wurde eine mündliche Anhörung im Widerspruchsverfahren eingeführt, die eine Prüfung tatsächlich erleichtert und beschleunigen dürfte, da die Feststellung über den Status nicht mehr automatisch mit einer kompletten Prüfung der Sozialversicherungspflichten gekoppelt ist.
  • Last not least wurde eine Gruppenfeststellung eingeführt. Das heißt: Die DRV kann auf Grundlage einer Einzelfallprüfung gegenüber den Auftraggebern ein Gutachten darüber abgeben, wie der Status von weiteren Personen einzuschätzen ist. Aber nur dann, wenn die in weitgehend identischen Auftrags- oder Arbeitsverhältnissen tätig sind. Das entsprechende Gutachten der Clearingstelle ist kein Bescheid und daher für andere Versicherungsträger nicht bindend. Es schafft aber Rechtssicherheit durch die Bestimmung, dass Bescheide anderer Versicherungsträger über eine Versicherungspflicht, die die DRV im Gutachten verneint hat, nur für die Zukunft und nicht rückwirkend gelten. Auch Auftragnehmerinnen können um eine Prognose bitten. Und zwar dann, wenn sie mehrere gleichartige Aufträge mit einem Unternehmen vereinbaren.

Rechtssicherheit in Sachen Sozialversicherungen schafft das Feststellungsverfahren nach derzeitiger Rechtslage nur, wenn die Clearingstelle spätestens einen Monat nach Beginn der Beschäftigung eingeschaltet wird. Dann gilt die Entscheidung zum Status erst mit Abschluss der Prüfung und nicht rückwirkend. Allerdings gibt es im Sozialrecht keine strafbefreiende Selbstanzeige, wie sie das Steuerrecht vorsieht. Wenn die DRV bei einer Betriebsprüfung von sich aus ein Verfahren einleitet, kann der Status immer rückwirkend beurteilt werden. Es lohnt sich also (vor allem für Auftraggeber), bei unklarem Status das Thema nicht auf die lange Bank zu schieben. Seit April 2022 ist die Klärung möglich, sobald ein Vertrag vorliegt, denn seitdem gilt, so die Erläuterungen der DRV (V0028): "Über den Erwerbsstatus kann entweder nach Aufnahme der Tätigkeit ... oder - sofern bereits ein schriftlicher Vertrag geschlossen wurde - auch schon vor Aufnahme der Tätigkeit für ein zukünftiges Vertragsverhältnis (§ 7a Absatz 4a Satz 1 SGB IV) entschieden werden." Aber Achtung: Wenn die tatsächliche Zusammenarbeit dann anders läuft als im Vertrag beschrieben, kann das Verhältnis auch rückwirkend als scheinselbstständig eingeschätzt werden.

Der Fragebogen/Antrag (V0027) für das freiwillige Verfahren ist samt Anlage C0031 zur "Beschreibung des Auftragsverhältnisses" sowie Erläuterungen (V0028) bei der DRV Bund zu erhalten. Es gibt zusätzlich noch den (ähnlichen) Fragebogen bei Betriebsprüfungen. Den schickt die DRV an Auftragnehmerinnen, wenn sich ihr im Rahmen der Prüfung Fragen zum Status der Mitarbeitenden stellen.
Wenn die dann über den Status entscheidet, gilt das immer nur für das eine konkrete Auftragsverhältnis, das geprüft wurde. Ein genereller "Freibrief", etwa für bestimmte Berufe, ist von der DRV nicht zu kriegen, woran auch die Prognoseentscheidung ab 1.4.2022 nichts geändert hat. Viele Auftraggeber bitten ihre Auftragnehmer, im Rahmen des Antrags auf Statusfeststellung ihre Zustimmung zum späteren Eintritt der Versicherungspflicht zu geben. Das kann legitim sein und hilft jenen Auftraggebern, die so etwas erst nach Aufnahme der Tätigkeit (etwa bei einer drohenden Prüfung) verlangen, nicht, das Risiko einseitig und unfair auf Auftragnehmer zu verlagern. – Versucht wird das trotzdem immer wieder gerne.

Natürlich laufen die Clearingstelle und die DRV schnell Gefahr zum Buhmann zu werden. Deren Job mit Prüfungen und Beurteilungen auch das Ausbluten des Sozialsystems zu verhindern, sehen manche Auftraggeber und (vermeintliche) Selbstständige, die insbesondere von der Rentenversicherungsfreiheit und steuerlichen Gestaltungsoptionen profitieren wollen, gar nicht gerne. Ihnen macht es die fehlende klare gesetzliche Definition leicht, gegen die Prüfpraxis der DRV mit Einzelfallbeispielen zu polemisieren. Tatsächlich führt die Rechtsunsicherheit im Detail immer wieder zu unverständlichen, manchmal hanebüchen praxisfremden Beurteilungen der Rentenkasse. Solche Beispiele sind selten, werden von interessierter Seite aber regelmäßig und mit großem Aplomb ausgeschlachtet. Dass die Prüfungen insgesamt noch viel zu selten sind, im Großen und Ganzen zu korrekten Ergebnissen führen und das zurzeit einzige Mittel gegen die Ausbeutung Scheinselbstständiger und der Sozialkassen sind, geht da ein wenig unter. Und wenn die Entscheidung der DRV wirklich mal danebenliegt, ist die ja noch auf dem Rechtsweg zu klären: Gegen jede Entscheidung eines Sozialversicherungsträgers sind selbstverständlich Widerspruch und Klage möglich. – Letztendlich entscheidet damit das Bundessozialgericht, wie der Status im Einzelfall zu beurteilen und legt dabei auch regelmäßig die Grundsätze fest, die in einzelnen Berufen maßgeblich zu beachten sind.

Die Statusprüfung der KSK

Auch die Künstlersozialkasse (KSK) prüft den Status, wenn Publizistinnen oder Künstler in die KSK aufgenommen werden wollen. Hier spielen alle üblichen Kriterien eine Rolle und hier erfahrungsgemäß zudem, ob man nur einen (Haupt-)Auftraggeber hat oder mehrere vorweisen kann. Wer nur einen Auftraggeber hat, sollte nachweisen können, dass es sich tatsächlich um eine selbstständige Tätigkeit handelt, also keine Weisungsgebundenheit und keine Einbindung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers besteht. Die Entscheidung, die die KSK bei der Aufnahme trifft, wurde lange als bindend für alle Sozialversicherungsträger angesehen. Die DRV schrieb deshalb noch bis Ende 2019 im Merkblatt V0028: "Ein Statusfeststellungsverfahren wird nicht durchgeführt", wenn eine Krankenkasse, Rentenversicherung oder die KSK bereits über den Status entschieden hat oder ein entsprechendes Verfahren läuft. In diesen Fällen müsse "die Clearingstelle Ihren Antrag auf Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens ablehnen. Wir empfehlen deshalb ggf. auf eine Antragstellung zu verzichten." – Ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 12.12.2018 (Az. B 12 R 1/18 R) hat allerdings verbindlich klargestellt, dass diese Darstellung lediglich eine These der DRV war. Im Merkblatt der Rentenversicherung fehlt daher seit Anfang 2020 der Hinweis auf die Prüfung der KSK. Im dem vom BSG entschiedenen Fall wollte die DRV mit dem Argument, die KSK habe bereits "über den sozialversicherungsrechtlichen Status des zu beurteilenden Vertragsverhältnisses entschieden", einem Journalisten eine Statusanfrage verweigern. Tatsächlich hatte bei ihm die KSK in 1992 die Verhältnisse geprüft und ihn als Versicherten aufgenommen. 19 Jahre später jedoch wollte der Kläger von der Clearingstelle wissen, wie diese das eigentlich beurteile. Weitere sieben Jahre später hat das BSG dann Klarheit geschaffen: "Die Weigerung der Beklagten, ein Statusfeststellungsverfahren durchzuführen, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten."

Da die KSK weder eine Einzugsstelle noch ein "anderer Versicherungsträger" im Sinne des § 7a SGB 4 ist, bleiben diese Stellen berechtigt und verpflichtet, die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu prüfen. Da die KSK keine Entscheidung nach dem Recht der Arbeitsförderung trifft, kann ihre Feststellung nicht zu einer Sperrwirkung beim Statusfeststellungsverfahren führen. Trotzdem können KSK-Versicherte, die vom Auftraggeber oder der DRV mit Fragen zur Scheinselbstständigkeit konfrontiert werden, auf ihre KSK-Mitgliedschaft verweisen. – Wenn die Arbeitsbeziehung tatsächlich noch so aussieht, wie sie im Aufnahmeantrag für die KSK geschildert wurde, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass diese plötzlich nicht mehr als selbstständig zu werten ist. Umgekehrt gilt: Wird jemand von der KSK abgelehnt, weil sie das Auftragsverhältnis als scheinselbstständiges wertet, sollte sich der oder die Betroffene an die Clearingstelle wenden.

Arbeitsrecht und Statusfragen

Damit ein Arbeitsgericht über den Status entscheidet, muss dargelegt werden, welche arbeitsrechtlichen Dinge die Notwendigkeit begründen, hier ein Gericht entscheiden zu lassen. Ohne ein sogenanntes Rechtsschutzbedürfnis hingegen sind individuelle Klagen vor den Arbeitsgerichten nicht zulässig. Wenn es jedoch Entsprechendes zu entscheiden gibt – etwa im Rahmen einer Kündigungsschutzklage von Scheinselbstständigen – wird das Arbeitsgericht, wie im § 2 Arbeitsgerichtsgesetz vorgesehen, im ersten Schritt die "Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ... über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses" klären. Beweispflichtig ist hier dann allerdings die Selbstständige, die im Klageantrag nicht nur beschreiben muss, dass sie festgestellt haben will, dass sie Arbeitnehmerin des oder der Beklagten ist, sie also insbesondere dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliegt.

Wie im Sozialrecht (aber doch anders akzentuiert) wird beispielsweise auch geklärt wer grundsätzlich und dauerhaft über Orte und Zeiten der Arbeitsleistung bestimmt. Auch eine feste, regelmäßige Vergütung sowie die Zahlung von Lohnsteuer sind starke Indizien für ein auch arbeitsrechtlich abhängige Beschäftigung. Eine gewisse Leitwirkung hat es auch, wenn bereits sozialrechtlich feststeht, dass es sich um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt, dies bindet die Arbeitsgerichte jedoch nicht. Das Bundesarbeitsgericht fasste das beispielsweise in einem Urteil aus 2019 (Az. 5 AZR 178/18) kurz so zusammen: Im Sozialrecht ist die nichtselbständige Arbeit sozialversicherungspflichtig, insbesondere die in einem Arbeitsverhältnis. Ein kleiner aber feiner Unterschied zum Arbeitsrecht, denn der "sozialversicherungsrechtliche Begriff der Beschäftigung umfasst zwar das Arbeitsverhältnis, ist mit diesem jedoch nicht vollkommen deckungsgleich. Entsprechend kann die sozialversicherungsrechtliche Bewertung einer bestimmten Tätigkeit für deren arbeitsrechtliche Beurteilung keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen". Wie nun Arbeitsgerichte bei der autonomen Prüfung des Arbeitnehmerstatus ihren weiten Beurteilungsspielraum nutzen, ist ihnen unbenommen. Daher äußert sich das Bundesarbeitsgericht nur selten inhaltlich zur Scheinselbstständigkeit. Nur dann, wenn die Vorinstanz grobe Fehler gemacht hat.

Die Grundsätze, nach denen im Arbeitsrecht die Scheinselbstständigkeit beurteilt wird, findet sich quasi als Zitat in allen einschlägigen Urteilen referiert. Etwa ab der Randziffer 47 im BAG, Urteil vom 21.5.2019 (Az. 9 AZR 295/18). Darin ging es um eine Vertragskündigung und "in diesem Zusammenhang vorrangig um die Frage, ob das Vertragsverhältnis ein Arbeitsverhältnis war". Hierzu hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) vor allem fehlerhaft angenommen, dass bereits in der Existenz von Rahmenverträgen ein Weisungsrecht stecke und damit ein Indiz für eine abhängige Arbeit. Dem LAG trug das BAG daher in diesem Fall auf, es solle noch einmal prüfen, ob die in Frage stehenden Übersetzungsaufträge einseitig zugewiesen oder lediglich angeboten wurden.


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