Der Start

Wer sich mit seiner eigenen Arbeit selbstständig machen will, kann in vielen Berufen einfach anfangen – ohne große Genehmigungen, ohne große Investitionen, ohne allzu großes Risiko. Man kann diese selbstständige Arbeit sogar neben einem anderen Job ausprobieren, sich langsam herantasten, das macht den endgültigen Schritt viel leichter. Entscheidend für den Erfolg ist, dass man gute Arbeit leistet und Kunden findet, die diese Arbeit zu schätzen wissen.

Am Wichtigsten sind wahrscheinlich Kontakte vor Ort zu Leuten, die Ähnliches vorhaben oder schon Erfahrungen gemacht haben. In vielen Städten organisieren die verschiedensten Institutionen Gründerstammtische oder – teils berufsspezifische – Treffen von Selbstständigen. Die Erfahrungen, die dort versammelt sind, sind meist viel hilfreicher als das übliche "Expertenwissen".

Der Anfang selbst ist meist leichter als gedacht: Wer keine großen Investitionen vorhat, muss als Gewerbetreibender ein Gewerbe anmelden, als Freiberuflerin das Finanzamt informieren. Mehr Startformalitäten werden zunächst nicht verlangt. Um eine Krankenversicherung muss man sich, um die Mitgliedschaft in einer Berufsorganisation und eine vernünftige Altersvorsorge sollte man sich umgehend kümmern.

Wer Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG) hat, kann eine Starthilfe von der Arbeitsagentur bekommen: den Gründungszuschuss. Wer Bürgergeld bezieht, kann zum gleichen Zweck Einstiegsgeld und Leistungen zur Eingliederung bekommen.

Wer den Übergang in die Selbstständigkeit gleitend gestalten kann, also erste Aufträge bereits neben dem Studium, einer Anstellung oder während der Arbeitslosigkeit abwickeln kann, kann diese Möglichkeit nutzen. – Eine bessere Chance, die selbstständige Arbeit ohne großes Risiko auszuprobieren und sich einen Kundenstamm aufzubauen, gibt es kaum. Je nach Art des "Hauptjobs" – Ausbildung, Arbeitsverhältnis, Rente, Kindererziehung, Erwerbslosigkeit – gibt es für die nebenberufliche Selbstständigkeit unterschiedliche Pflichten, Einkommensgrenzen und Besonderheiten.

Und immer lohnt es sich bei allem Enthusiasmus, mit dem eine neben- oder hauptberufliche Gründung meist angegangen wird, zu klären, ob auch alle möglichen Probleme zu bewältigen sind. Unter anderem um diese Gedanken zu befördern, werden bei staatlichen Hilfen und von Investoren auch Businesspläne verlangt. Der Berater Franz-Rudolf Borsch hat im Mai 2019 einmal zusammengestellt, woran Gründungen oft wieder scheitern (natürlich auch um seinen Punkt 1 zu betonen). Er nennt in seiner Liquiditionsreport 2019 genannten Recherche unter anderem:

  • Verzicht auf Beratung
  • Fehlendes oder schlechtes Networking
  • Fehlende Flexibilität und Veränderungsbereitschaft
  • Fehlendes Business-Modell
  • Fehlender Markt
  • Preise und Kosten
  • Kundenunfreundliches Produkt
  • Schlechtes oder fehlendes Marketing
  • Schlechtes Timing
  • Fehlende Fokussierung
  • Fehlende Leidenschaft
  • Geographische Fehler
  • Juristische Probleme
  • Burn-out
  • ...

Einerseits kommt dem Ideal, einer fremdbestimmten Tätigkeit in einer hierarchischen Arbeitswelt zu entfliehen, kaum etwas näher, als eine unternehmerische Selbstständigkeit. Die allerdings ist nicht allein durch einen rechtlichen Status gegeben. Die gesuchte selbstständige Programmiererin trifft auf ein deutlich anderes Umfeld (und andere Optionen der freien Entfaltung) als ein scheinselbstständiger Kurierfahrer. – Dass ein Drittel der Solo-Selbstständigen die Erwerbsform gewählt hat, weil die Perspektive auf eine andere Tätigkeit fehlt, muss sie nicht unglücklich machen, es spricht aber gegen eine undifferenzierte Idealisierung der Erwerbsform als per se frei und unabhängig. Damit die Erwerbsform Selbstständigkeit ihre zweifellos großen Potenziale auf Selbstbestimmung realisieren kann, braucht es "Gute Arbeit". Dazu gehören auch gleichwertige Bedingungen und Einkommen in allen Erwerbsformen eines Berufs – also beispielsweise Honorare, die nicht dem Dumping dienen.

 

Exkurs: Ist die Selbstständigkeit besser als eine Anstellung?

Natürlich ist die Selbstständigkeit die ideale Arbeitsform! Sie ermöglicht das höchste Maß an Selbstbestimmung in Arbeit und Leben. Eine freie Entscheidung ist auch in der Arbeitswelt besser und befriedigender als unter Zwang und Fremdbestimmung zu handeln. Allerdings: Das alles bietet in Reinform nur die echte, unternehmerische Selbstständigkeit, bei der die Einzelnen Chancen nutzen und dafür überschaubaren Risiken ausgesetzt sind. – Nicht alles, was formaljuristisch als Selbstständigkeit durchgeht oder auch nur so genannt ist, bringt die Vorteile der Erwerbsform zur Geltung. Ohne eigene Marktmacht verpufft fast alles, was in rosigen Beschreibungen und Fantasien zur Selbstständigkeit verbreitet wird. Die kann auch ein verdammter, mies bezahlter, abhängiger Knochenjob sein (und ist es statistisch in rund einem Drittel der Fälle).

Ein Sozialstaat hat auch in der Arbeitswelt eine Schutzpflicht. Bei faktisch abhängigen Tätigkeiten besteht deshalb keine arbeits- und sozialrechtliche Wahl, sie alternativ als Selbstständigkeit zu deklarieren. Wer im Job keine unternehmerischen Chancen und Risiken realisiert, direkte Weisungen (insbesondere zur Zeit und zum Ort) zu seiner Tätigkeit erhält und in fremden Räumen arbeiten muss, ist eben nicht wirklich selbstständig. Um da Einzelne aber auch die Sozialstaatlichkeit an sich zu schützen gilt in der Rechtsordnung der Bundesrepublik: „Status ist kein Wunschkonzert“. 
In der Regel bieten Arbeit- und Auftraggeber auch deshalb keine Alternativen bei der Erwerbstätigkeit an. Sie suchen entweder Angestellte oder vergeben Aufträge. Es gibt allerdings (vor allem im Kulturbereich) auch Tätigkeiten, bei denen es faktisch keine Anstellungen gibt und auch Tätigkeiten (insbesondere im Medien- und Bildungsbereich) wo beide Vertragspartner die Arbeit als Selbstständigkeit oder als abhängigen Job definieren und vereinbaren können. Wie gesagt: Selbstständigkeit kann die ideale Arbeitsform sein und es spricht alles dafür, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Es lohnt sich aber, genau darüber ein paar Gedanken zu verlieren und vor einzelnen Aufträgen oder der grundsätzlichen Entscheidung nur noch selbstständig zu arbeiten, genau zu definieren, was einem im Leben wichtig ist und einen ungeschönten Blick auf die Chancen und Risiken der gewählten Arbeitsform zu werfen.

Die Autonomie stellt sich auch bei einer arbeits- und sozialrechtlich eindeutigen Selbstständigkeit nicht im Selbstlauf ein. Auch ökonomische Zwänge können zu einer effektiven und umfassenden Fremdbestimmung führen. Die gibt es genauso bei den berühmt-berüchtigten lousy jobs in Anstellung. Auch dort gibt es furchtbare Arbeiten (inzwischen aber wenigstens einen Mindestlohn) und ebenso solche mit hoher Einkommenssicherheit gepaart mit Selbstbestimmung in Sachen Arbeitszeit und -inhalt.
Die plumpe Gegenüberstellung von abhängiger Arbeit (=Fremdbestimmung) und Selbstständigkeit (=Freiheit) ist ein Überbleibsel des Industriezeitalters und beschreibt – meist durch politische und ökonomische Interessen getrieben – die Realität beider Erwerbsformen oft arg verzerrt. Wer mit den Selbstständigen oder den Arbeitnehmerinnen argumentiert, hat meist eine ideologische Agenda, beschwört gerne den "Gründergeist" und ist an Differenzierungen eher wenig interessiert. Dabei geht es bei der Abwägung ob nun eine Selbstständigkeit oder eine Anstellung besser sind, nicht um Abstraktes sondern darum, ob im konkreten Job die Autonomie, angemessene Einkommen, Mitsprache und Zeitsouveränität, also "Gute Arbeit" verwirklicht werden. Mit dem Erwerbsstatus korreliert das durchaus oft (insbesondere in Bereichen mit höheren Einkommen), hat aber prinzipiell überhaupt nichts damit zu tun.   

Zur Entscheidung ob im Moment (das sind ja alles keine Lebensentscheidungen) eine Anstellung oder eine Selbstständigkeit besser ins Lebenskonzept passt oder eine Arbeit besser in dem einen oder dem anderen Status erledigt wird, gehört ein konkreter und realistischer Vergleich vieler Parameter. Zur Abwägung gehört für die Arbeitenden mindestens ein Blick auf die soziale Sicherung, sowie die Arbeitsplatz- und Einkommenssicherheit. Holzschnittartig sieht die Situation im Dienstleistungsbereich (nur hier ist ein direkter Vergleich sinnvoll) so aus:

 

Anstellung

Selbstständigkeit

Soziale Sicherung

Automatische Einbindung in die Sozialversicherungen, Arbeitgeber wird an den Kosten beteiligt

Freiwillige Versicherung, volle Kostentragung (Ausnahme Künstlersozialkasse)

Arbeits-/Auftragssicherheit

Kündigungsschutz, festes Gehalt

Abhängigkeit von Auftragslage

Einkommen

Festes, regelmäßiges Gehalt, oft kollektiv verhandelt

Schwankendes Einkommen, eigene Verhandlung notwendig, hohes Gewinnpotenzial (insbesondere bei Marktmacht durch Innovation, Fachkräftemangel und/oder Qualifikation)

Die Entscheidung zwischen Anstellung und Selbstständigkeit hängt – ein Minimum an Marktmacht vorausgesetzt – auch von diesen bedingt gestaltbaren Rahmenbedingungen ab. Eigene Prioritäten und die persönliche Risikobereitschaft können deren individuelle Gewichtung von Fall zu Fall völlig anders ausfallen lassen. Es kann im Einzelfall eine gute und stimmige Entscheidung sein, die Selbstbestimmung mindestens zeitweise über alle materiellen Rahmenbedingungen zu setzen, also auf Sicherheiten und Einkommen zugunsten der Autonomie zu verzichten. Dafür allerdings müssen Spielräume vorhanden sein. Eine prekäre Selbstständigkeit oder eine Not-Gründung bieten wenig Aussicht auf Autonomie.
Motive, Erwartungen und Hoffnungen in Bezug auf die Selbstständigkeit müsst ihr erstens klären und zweitens möglichst regelmäßig überprüfen. Gespräche mit Kolleginnen und Freunden über Erfahrungen und Wünsche können dabei extrem hilfreich sein. Wir können und wollen im Folgenden dazu nur die wesentlichen Faktoren der obigen Matrix beitragen. Die sollten als mögliche Einflussfaktoren bei der Entscheidung für einen Erwerbsstatus bekannt sein. Und: Jederzeit sind Kombinationen von Selbstständigkeit(en) und Anstellung(en) in Voll- und in Teilzeit möglich. Entsprechende Gestaltungen können dafür sorgen, dass einzelne Faktoren nicht übermächtig ins Gewicht fallen.  Schauen wir uns also die Bereiche soziale Sicherung, Arbeits-/Auftragssicherheit sowie Einkommen noch einmal in ein paar zusätzlichen Stichworten an – zu fast allen gibt es übrigens Spezielles und Ausnahmen zu berichten. Alle Details für Selbstständige finden sich an der entsprechenden Stelle in diesem Ratgeber:

Soziale Sicherung bei der Anstellung

  • Angestellte sind automatisch in die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme eingebunden. Zur Pflichtversicherung gehören die Kranken- und Pflegeversicherung, die Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, sowie die Unfallversicherung.
  • Arbeitgeberbeteiligung: Zur Gesamtbetrachtung gehört bei den Vergütungen die Tatsache, dass Arbeitgeber zusätzlich zum Brutto-Einkommen einen Teil der Sozialversicherungsbeiträge (in der Regel 50 %) zahlen müssen.
  • Angestellte erhalten im Krankheitsfall bis zu sechs Wochen Lohnfortzahlung und anschließend das Krankengeld der Krankenversicherung.

Soziale Sicherung bei der Selbstständigkeit

  • Die allermeisten Selbstständigen können sich in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung freiwillig versichern, müssen die Beiträge jedoch vollständig selbst tragen. (Eine Ausnahme gilt bei einer Pflichtversicherung über die Künstlersozialversicherung, wobei 50% der Beiträge bei Auftraggebern und dem Staat eingesammelt werden.) Alternativ gibt es bei der Krankenversicherung die Möglichkeit einer privaten Absicherung. Bei der Rentenversicherung wiederum sind manche Selbstständige zu vollen Kosten Pflichtversicherte.
    Es gibt hingegen keine keine automatische Arbeitslosenversicherung oder Unfallversicherung. Beides muss separat geklärt werden, auch wenn manche Berufe eigentlich zur Unfallversicherung (auf eigene Kosten) verpflichtet sind.
  • Selbstständige müssen ihre Krankenversicherung selbst organisieren, es gibt ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Option Krankengeld muss bei der Versicherung einzeln abgeschlossen und zusätzlich bezahlt werden.

Arbeitsplatzsicherheit in der Anstellung

  • Angestellte genießen eine höhere Arbeitsplatz-Sicherheit, besonders wenn sie einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben.
  • Abhängig Beschäftigte profitieren vom gesetzlichen Kündigungsschutz, der willkürliche Kündigungen erschweren.
  • Ein festes Arbeitsverhältnis bietet ein regelmäßiges Gehalt und damit Planbarkeit.

Auftragssicherheit bei Selbstständigkeit

  • Selbstständige sind von der Auftragslage und der Konjunktur abhängig. Wird ihre Leistung nicht gebucht, fällt Einkommen weg. Ein ökonomisches Risiko (wie auch die Chancen) hat vollständig der/die Selbstständige.
  • Es gibt – mit Ausnahme arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger, die das per Einzel- oder Kollektivvertrag durchsetzen können, keine Beschäftigungsgarantie, die den Regeln für Arbeitnehmerinnen vergleichbar wäre.
  • Echte Selbstständige haben im Gegenzug eine volle Flexibilität bei der Gestaltung ihrer Arbeit. Das erhöht über die Selbstbestimmung die Arbeitszufriedenheit und wiegt mental meist einige der Unsicherheiten auf.

Einkommen in der Anstellung

  • Angestellte erhalten in der Regel ein festes Einkommen, das unabhängig von der Arbeitsauslastung oder der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens ist (was in Krisenzeiten nicht absolut vor Entlassung schützt).
  • Je nach Vertrag und Branche können Angestellte von Gehaltserhöhungen, Boni und anderen finanziellen Anreizen profitieren, die durch Tarifverträge oder individuelle Vereinbarungen geregelt sind.
  • Angestellte (und wirtschaftlich abhängige Selbstständige) haben gesetzlich geregelte Urlaubsansprüche und erhalten auch während dieser Zeit ihr Gehalt weiter.

Einkommen in der Selbstständigkeit

  • Das Einkommen ist oft unregelmäßig und stark von der Anzahl der Aufträge und dem Erfolg ihrer Arbeit abhängig. In einigen Monaten kann es zu hohen Einnahmen kommen, während in anderen Monaten wenige oder keine Aufträge vorliegen.
  • Selbstständige haben das Potenzial, höhere Einnahmen zu erzielen, da sie nicht auf ein festes Gehalt begrenzt sind. Ihr Einkommen hängt von Arbeitsleistung, Marktposition, Beziehungen und Verhandlungsgeschick ab.
  • Selbstständige müssen – das ist ein großer Posten – die Kosten der Altersvorsorge eigenständig tragen.

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