Status ist kein Wunschkonzert

Was einige Auftraggeber (aber auch Zwangs-Selbstständige) gerne übersehen: Solange es Missbrauchsmöglichkeiten und je nach Status gravierende Schutz- und Einkommensunterschiede gibt, wird es Gerichten und dem Gesetzgeber nicht möglich sein, sich bei den Status lockerer zu machen. Beide haben auch die Pflicht, Erwerbstätige vor Ausbeutung sowie die Sozialordnung in ihrem Kernbereich zu schützen. Das ist gemeint, wenn etwa das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen feststellt (Az. L 2 R 372/12): "Der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung und ihre Natur als eine Einrichtung des öffentlichen Rechts schließen es im Ansatz aus, über die rechtliche Einordnung allein nach dem Willen der Vertragsparteien, ihren Vereinbarungen oder ihren Vorstellungen hierüber zu entscheiden".

Als Selbstständige im sozial- und arbeitsrechtlichen Sinn sollen im Sozialstaat also nur jene gelten, die wirklich frei und freiwillig unternehmerisch tätig sind und daher auch Chancen und Risiken der Selbstständigkeit realisieren. Was das sozialrechtlich bedeutet, haben die Sozialgerichte über viele Jahre geklärt und das Bundessozialgericht (BSG) in einem Urteil vom März 2016 (Az. B 12 KR 20/14 R) prägnant zusammengefasst. Dem Risiko, für die soziale Sicherheit allein verantwortlich zu sein, müssen "um sozialversicherungsrechtliche Folgen auslösen zu können, auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft oder größere Verdienstchancen gegenüberstehen."

Umgekehrt gilt natürlich: Je eigenständiger die Tätigkeit ausgeführt und kalkuliert wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei einem Job um eine verkappte abhängige Tätigkeit handelt. Grundsätzlich muss dabei für jeden Auftrag einzeln betrachtet werden, ob er tatsächlich selbstständig ausgeführt wird, wobei die entsprechende Statusfeststellung die entsprechenden Indizien unterschiedlich gewichtet. Wird im Rahmen der grundsätzlich fälligen Abwägung aller Umstände festgestellt, dass der Job nicht weisungsgebunden ist, sinkt die Bedeutung anderer Kriterien. So entschied das Landessozialgericht NRW Mitte 2018 (Az. L 8 R 934/16) zur Frage, welche Rolle Fixkosten und Investitionen spielen: Es ist nicht von entscheidender Bedeutung, dass jemand "weder über eine eigene Betriebsstätte verfügte, noch ein nennenswertes unternehmerisches Risiko traf. Ein unternehmerisches Tätigwerden ist bei reinen Dienstleistungen typischerweise nicht mit größeren Investitionen in Werkzeuge, Arbeitsgeräte oder Arbeitsmaterialien verbunden". Das Fehlen von Betriebsräumen und Investitionen allein ist also kein zwingender Grund, eine abhängige Beschäftigung anzunehmen. Umgekehrt kann aber auch nicht einfach argumentiert werden, der Job sei zeitlich und örtlich flexibel sowie eigenverantwortlich auszuführen. Das gilt längst auch für die meisten qualifizierten abhängigen Tätigkeiten und wird dort sogar oft ausdrücklich gefordert. Entsprechend spielt in der sich stetig weiter entwickelnden Rechtsprechung die Frage der unternehmerischen beziehungsweise wirtschaftlichen Chancen und Risiken in der Gesamtschau eine zunehmend große Rolle. 

Gesetzliche Sonderregelung im Bildungsbereich für 2025/2026

In der Bildungsbranche wurde sehr lange ignoriert, dass es dort Scheinselbstständigkeit in großem Umfang gibt. Hier darf vermutet werden, dass auch, weil es sehr oft um öffentliche Aufträge geht, niemand richtig Lust hatte, genauer hinzuschauen, was genau denn eine unternehmerische Selbstständigkeit ausmacht und worin sich die Umstände von (vorgeblichen) Honorarkräften wesentlich von denen der abhängig Beschäftigten unterscheiden. Entsprechend hat das im Juni 2022 ergangene Herrenberg-Urteil des BSG (Az. B 12 R 3/20 R) für sehr große Aufregung gesorgt.
Während einige Kommunen und private Auftraggeber der Branche schon lange auf vorwiegend abhängige Beschäftigung gesetzt hatten, sind andere schlicht auf Tauchstation gegangen und nach dem Urteil in den Alarm-Modus verfallen. Dabei hat das Urteil eigentlich Selbstverständliches und Bekanntes festgestellt: Bei der betrieblichen Eingliederung kommt es auf den Umfang der "Freiheiten zur zeitlichen, örtlichen und inhaltlichen Gestaltung" an. Eine Selbstständigkeit bedingt eine Weisungsfreiheit, die die Tätigkeit "insgesamt als eine unternehmerische kennzeichnet".  Was das im Bildungsbereich bedeutet, fasst das BSG im Herrenberg-Urteil in Randziffer 18 zusammen. Demnach gehört zur Selbstständigkeit die unternehmerische Tätigkeit "mit entsprechenden Chancen und Risiken". Es muss zudem eine Weisungsfreiheit vorhanden sein, die die Tätigkeit "insgesamt als eine unternehmerische kennzeichnet". Indizien hierfür seien, dass der unternehmerische Erfolg oder Misserfolg der Lehrkräfte geprägt sei durch eigene Kundenbeziehungen, Können und Ruf. Dagegen spreche die "Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung sowie die Festlegung auf bestimmte Unterrichtszeiten und Räume". Ebenso, wenn kein eigener Betrieb unterhalten wird, allein der Auftraggeber nach außen auftritt und die Lehrpläne sowie Verträge und Abrechnungen mit den Kunden bestimmt. – Ausführlich haben sich die Spitzenverbände der Sozialversicherung mit den Konsequenzen aus dem Urteil beschäftigt und in ihrem entsprechenden Protokoll der Besprechung vom 4. Mai 2023 (auf S. 4f) präzisere "Beurteilungsmaßstäbe für den in Rede stehenden Personenkreis" aufgeführt. 
Damit die Branche Zeit erhält, ihre Verträge und Prozesse der Rechtslage anzugleichen, wurde nach langen Diskussionen und Verbände-Dialogen Anfang 2025 speziell für den Bildungsbereich übergangsweise eine Sonderregelung installiert. Sie soll bis Ende 2026 Zeit geben, die Organisation und Geschäftsmodelle der Branche so anzupassen, dass, wo Selbstständigkeit drauf steht, auch Selbstständigkeit drin ist. Hierfür regelt § 127 SGB 4 (neu) seit Anfang März 2025 es trete bis Ende 2026 trotz Scheinselbstständigkeit "keine Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund einer Beschäftigung ein". Das gilt auch, wenn das Ergebnis eines Statusverfahrens anders ausfällt oder sich Auftraggeber und -nehmer ohne Statusverfahren entsprechend einigen. Unter anderem der Deutsche Städtetag nennt das in schöner Offenheit eine "fingierte selbstständige Lehrtätigkeit".
Um hier kein verfassungswidriges Gesetz zu schaffen, gelten zwei Bedingungen: Beide Vertragsparteien müssen bei Vertragsschluss von einer Selbstständigkeit ausgegangen sein und die Lehrkraft muss (nach einem Statusverfahren) der Anwendung der Übergangsregelung zustimmen oder (ohne Statusverfahren) ausdrücklich bestätigen, dass die Tätigkeit als Selbstständigkeit gelten soll. In diesen Fällen "tritt bis zum 31. Dezember 2026 keine [Renten-]Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund einer Beschäftigung ein". Für die Lehrkräfte aus Kultur und Publizistik, die über die Künstlersozialversicherung verbeitragt werden, sowie die Arbeitslosenversicherung auf Antrag gilt das Moratorium analog. "Keine ... Beitragspflicht aufgrund einer Beschäftigung" bedeutet übrigens nicht, dass alle Versicherungspflichten eingefroren werden: Für Lehrkräfte, die mehr als geringfügig tätig sind, bringt die fingierte Selbstständigkeit automatisch eine persönliche Rentenversicherungspflicht. Wo sich der Auftraggeber nicht beteiligt, sind damit 18,6 % des Gewinns für die Rentenversicherung fällig.
 Um auf der sicheren Seite zu sein, empfehlen erste Bundesländer eine Ergänzung laufender Verträge, in denen die Lehrkräfte zusichern sollen, dass sie sich bei Vertragsschluss einig gewesen wären, dass es sich um eine selbstständige Tätigkeit handelt. Verbunden mit der einseitigen Zusicherung, dass die Lehrkraft ausdrücklich zustimmt, dass auch für zurückliegende Verträge keine Sozialversicherungspflicht eintreten soll. – Wir raten dringend davon ab, so etwas unbesehen zu unterschreiben. Es gibt keinen Grund, für die Vergangenheit einseitig auf die Möglichkeit zu verzichten, prüfen zu lassen, ob eine Scheinselbstständigkeit vorlag. Insbesondere dann, wenn die eigene Versicherungspflicht ignoriert wurde und die DRV auf hohe Nachzahlungen besteht. 

Die Ausnahme war die Folge einer umfassenden Lobby-Tätigkeit und der Gefahr, dass die Kommunen und Institutionen lieber keine Bildung mehr anbieten, als Scheinselbstständige zu versichern oder anzustellen. Dabei ist die Überraschung der Auftraggeber, Verbände und der Politik – auch über aktuellere Urteile wie etwa das des LSG Nordrhein-Westfalens vom April 2024 (Az. L 8 BA 109/19 – mindestens verwunderlich: Die Grundregeln zur Scheinselbstständigkeit galten schon immer auch für die Bildungsbranche und kreative Berufe. Neu ist lediglich, dass seit einigen Jahren deren Missachtung immer weniger geduldet wird. Die Beschäftigung von Scheinselbstständigen insbesondere bei öffentlichen und öffentlich-rechtlichen Aufträgen hatte sich (letztlich über Jahrzehnte) wohl auch deshalb so nachhaltig eingeschliffen, weil dort der Druck und die Versuchung besonders hoch sind, Personalkosten als Sachkosten auszuweisen.
Es darf vermutet werden, dass eine entsprechende Stimmung auch auf das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen abfärbte, das per Urteil (Az. L 2 BA 47/20) die gewagte Argumentation vortrug, es gäbe einen Vertrauensschutz für Verträge, die vor dem Herrenberg-Urteil abgeschlossen wurden. Anfang November 2024 musste das Bundessozialgericht dazu noch einmal ausdrücklich klar stellen, dass das Unsinn ist. In seiner Pressemitteilung zum Urteil (Az. B 12 BA 3/23 R) stellt das BSG fest: "Es gibt keine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit ... bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre." Der Status sei schon immer von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig.
Zu den Scharmützeln, die schließlich zum Moratorium bis Ende 2026 führten, gehörte unter anderem der Versuch des Landes Berlin per Bundesratsinitiative den "Weiterbetrieb der Einrichtungen mit freiberuflichen Lehrkräften sicherzustellen". Dazu verstieg sich das Land zu der Behauptung, die "meisten Lehrkräfte, insbesondere an Volkshochschulen" würden lieber freiberuflich arbeiten. In einer Klarstellung erläuterte die Gewerkschaft ver.di, dass Umfragen sowie die Praxis anderer Bundesländer das Gegenteil zeigen und und eine es die Anstellung bei einem Auftraggeber überhaupt nicht nicht ausschließt, "zusätzlich freiberuflich künstlerisch tätig zu sein oder für mehrere Musikschulen zu arbeiten". Es sei zynisch, "wenn der Berliner Senat versucht, weiter auf Kosten der Beschäftigten zu sparen, und dies mit den vermeintlichen Interessen der Beschäftigten rechtfertigt".

Obwohl die Bedingungen strukturell gleich sind, bildet die Situation der Lehrbeauftragten an Hochschulen ein gallisches Dorf in der Gesetzgebung und der Rechtsprechung: Bei diesen Tätigkeiten wird davon ausgegangen, dass kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis entsteht, sondern ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis eigener Art, dessen Ausgestaltung dann in den Landeshochschulgesetzen definiert werden. Faktisch wird damit steuer-, sozial- und arbeitsrechtlich eine Selbstständigkeit fingiert indem eine normale Beschäftigung ausgeschlossen wird. So heißt es beispielsweise in § 56 LHG (Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg): "Die Lehrbeauftragten stehen in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Baden-Württemberg". Deutlicher in der Frage, was damit gemeint ist, wird der § 120 BerlHG (Berliner Hochschulgesetz): "Lehraufträge begründen kein Arbeitsverhältnis zur Hochschule."  

Weitere Grundsatzentscheidungen der letzten Jahre

In zwei Grundsatzurteilen aus dem Gesundheitsbereich hat das Bundessozialgericht (BSG) am 4. Juni 2019 (Honorarärzte Leitfall Az. B 12 R 11/18 R) und am 7. Juni 2019 (Pflegekräfte Leitfall Az. B 12 R 6/18 R) noch einmal grundsätzlich klargestellt, welch hohen Stellenwert die Eingliederung in die Arbeitsorganisation und generell die Gesamtbetrachtung der vorliegenden Tätigkeit hat. Zu beiden heißt es schon in einer Pressemitteilung bzw. dem Terminbericht 23/19 zum Pflegekräfte-Urteil sowie in der Pressemitteilung und dem Terminbericht 22/19 zum Honorarärzte-Urteil, dass ein Mangel an Fachkräften gesetzliche Regeln nicht außer Kraft setzen könne, „um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen ‚entlastete‘ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen“. Wenn eine Tätigkeit nur eingegliedert in die Organisationsstruktur des Kunden (oder hier der Einrichtung) möglich sei, spräche bereits viel für eine Scheinselbstständigkeit. „Bloße Freiräume bei der Aufgabenerledigung, zum Beispiel ein Auswahlrecht der zu pflegenden Personen“, reichten nicht, eine freie unternehmerische Tätigkeit anzunehmen, teilte das BSG mit. Hierzu hatte beispielsweise der Arbeitgeber im Pfleger-Leitfall argumentiert, der Mitarbeiter im Altenheim habe nur tage- oder wochenweise gearbeitet, eigene Berufskleidung mit eigenem Namensschild getragen und mehr als den doppelten Stundenlohn im Vergleich zu angestellten Pflegekräften bekommen habe.

Die Rolle der Gesamtabwägung der konkreten Umstände einer Tätigkeit hat im Oktober 2023 das BSG im sogenannten Poolärzteurteil (Az. B 12 R 9/21 R) noch einmal bekräftigt. Demnach ist ein Arzt im kassenärztlichen Notdienst nicht selbstständig, wenn er in diesem Dienst ebenso organisatorisch eingebunden arbeitet wie ein angestellter Arzt. – Wie der klagende Zahnarzt, richtig argumentierte, kommt es auch hier darauf an, tatsächlich unternehmerisch tätig zu sein. Er hatte jedoch auf die Abläufe des Notdienstes keinen organisatorischen oder gar unternehmerischen Einfluss, wurde unabhängig von der Zahl der Patienten vergütet. Damit war er in der Gesamtschau ein betrieblich eingegliederter, sozialrechtlich abhängig Beschäftigter. Auch hier betonte das oberste Sozialgericht den Einzelfall-Charakter der Entscheidung, aber auch, dass nie der Beruf über den Status entscheidet, sondern das konkrete Auftrags- oder Arbeitsverhältnis: "Die ... Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit ist nicht abstrakt für bestimmte Berufs und Tätigkeitsbilder vorzunehmen. Es ist daher möglich, dass ein und derselbe Beruf je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen in ihrer gelebten Praxis entweder als Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird. ... Daher ist mit der vorliegenden Entscheidung keine allgemeinverbindliche ... Feststellung getroffen. Das hier gefundene Ergebnis betrifft allein die Tätigkeit des Klägers in dem von der Beigeladenen konkret praktizierten vertragszahnärztlichen Notdienst."

Das Gleiche gilt bei einer über eine Arbeitsplattform vermittelte Ärztin, die an mehreren Tagen jeweils achtstündige Diabetes-Screenings für ein Unternehmen in dessen Räumen durchführte. Hierzu stellte das Bundessozialgericht (BSG) am 12.6.2024 laut seinem Terminbericht im Urteil (B 12 BA 2/22 R) klar, dass die Argumentation verfehlt ist, eine Eingliederung in ein Geschäftsmodell dürfe nicht mit einer Eingliederung in einen Betrieb gleichgesetzt werden. Der pauschalen und abwegigen Behauptung der Ärztin, dass selbstständige Tätigkeiten höherer Art in einem Subunternehmerverhältnis generell unmöglich seien, hielt das Gericht die Fakten entgegen: Entscheidend war auch hier, dass Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit verbindlich vorgegeben waren. Zudem konnte sie nicht "durch unternehmerisches Geschick das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu ihren Gunsten beeinflussen". Dem Willen der Vertragsparteien und auch der Vergütungshöhe kam bei der Gesamtbetrachtung demgegenüber keine zentrale Bedeutung zu.
Zum gleichen Ergebnis kam das BSG am gleichen Tag im Fall eines Arztes, der in den Betrieb einer hessischen Erstaufnahmeeinrichtung eingegliedert Untersuchungen durchführte. (Siehe BSG-Terminbericht zur Entscheidung B 12 BA 8/22 R.) Bei einem anderen Arzt in ähnlicher Funktion hingegen verwies das BSG (wiederum am 12.6.2024) den Fall zurück an das Landessozialgericht, da noch einmal zu klären ist, ob überhaupt "eine nennenswerte Organisationsstruktur existiert hat", in die der Arzt eingegliedert wurde, ob die Arbeit also mit Betriebsmittel der Einrichtung und "in arbeitsteiligem Zusammenwirken mit deren Beschäftigen" verrichtet wurde. (Siehe Terminbericht zur Entscheidung B 12 BA 5/23 R.)
In einem Dialogprozess haben anschließend die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Gesundheits- und Sozialministerien sowie die DRV Eckpunkte zur Statusfrage erarbeitet, die in der Folge noch noch gesetzlich festgeschrieben werden sollen. Details finden sich der KBV-Mitteilung vom 16.8.2024.

Beruf und Honorarhöhe sagen wenig aus

Die laufende Rechtsprechung trotzt also dem seit Jahren andauernden Versuch einiger Anwälte, Wirtschaftsverbände und Interessengruppen, die Bedingungen zu verschieben. Im Kern lautet die Forderung: Bestimmte Berufe und (besserverdienende) Selbstständige sollten sich den sozial- und arbeitsrechtlichen Status aussuchen können. Die Bundestagsfraktion der FDP hatte dies Thema dankbar übernommen und fordert spätestens seit 2019 ebenfalls: Der Erwerbsstatus und damit die Sozialversicherungspflicht soll vor allem oder gleich ausschließlich von der Einkommenshöhe oder auch der Tätigkeit abhängig sein. Dass ein Sozialstaat so nicht funktioniert und er sich entsprechend schützen muss, hat das BSG insbesondere im "Honorarärzte-Urteil" vom 4. Juni 2019 bereits deutlich betont: Wenn in einem Beruf die Berufstätigen üblicherweise als sozialrechtlich abhängig Beschäftigte unterwegs sind, ist die Selbstständigkeit umfassend darzulegen und die Honorarhöhe "nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien“.

Quasi als Ausweichstrategie der IT-Wirtschaft und einiger Selbstständiger dieser Branche wird mindestens ergänzend massiv gefordert für bestimmte Berufe Sonderregeln zu schaffen. Das Märchen geht hier so: Wegen neuer arbeitsorganisatorischer Umstände Stichwort agile Projektarbeit sei es nicht mehr "zeitgemäß" zwischen abhängiger und selbstständiger Arbeit zu unterscheiden. Dabei ist es (auch bei Projekten) ganz einfach: Wer für eine Firma abhängig arbeitet, wird von dieser (auf Projektdauer) angestellt, wer seine Arbeitsorganisation selbst bestimmt und den Preis zu dem Lebenszeit oder Arbeitsergebnis "verkauft" werden, tatsächlich unternehmerisch beeinflussen kann sowie wirtschaftliche Risiken trägt, ist selbstständig. Aus der Tatsache, dass in einigen wenigen Einzelfällen nicht ganz einfach festzustellen ist, was nun überwiegt, eine Honorar- oder Berufsausnahmeregel zu stricken, brächte einen erheblichen Kollateralschaden für das Sozialsystem. Was die FDP nicht davon abhielt, im Dezember 2019 per Bundestagsantrag zu fordern, wegen rund 0,2% aller Erwerbstätigen einen "Paradigmenwechsel" bei der Statusfeststellung einzuleiten.

Rechtlich ist die auch im FDP-Antrag (erneut) geforderte Berücksichtigung der Honorarhöhe als ein Indiz überhaupt kein Neuland. Die Versuche, die Vergütung als Hebel zu nutzen, Höchstverdiener aus der Verantwortung für die sozialen Sicherungssysteme zu entlassen, reißen aber seit 2017 nicht mehr ab. Entsprechend wird eine Bemerkung in einem Urteil des Bundessozialgerichts (31.3.2017, Az. B 12 R 7/15 R) gerne kolportiert, in der das Gericht die Honorarhöhe in speziellen Konstellationen "bedeutend" nannte. Genauer: Die erste Gerichts-Pressemitteilung zum Urteil wird so interpretiert, als habe bis dahin kein Gericht auf die Vergütung geschaut und spiele die Honorarhöhe neuerdings eine herausragende Rolle. Beides ist schlicht Nonsens.  Tatsächlich hat das BSG 2017 (wie viele Urteile zuvor) beiläufig erwähnt, dass ein Honorar, das "deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten Arbeitnehmers" liegt, als ein Indiz für Selbstständigkeit sein könne. Aber eben erst dann, wenn die Person weder weisungsgebunden arbeitet, noch in den Betriebsablauf eingegliedert ist. (Zu diesem Urteil haben wir wegen der penetranten Fehlinterpretationen auch noch den Detailtext "Einkommen als Indiz für Selbstständigkeit?" verfasst.) Es gibt umgekehrt übrigens auch Urteile, in denen ein extrem niedriges Honorar als (nur) ein Indiz für abhängige Tätigkeit gesehen wird. 

Umgehungsverträge und -gesellschaften funktionieren nicht

Auch der immer noch häufig gegebene Tipp, eine Personen- oder Kapitalgesellschaft zu gründen, die formal als Auftragnehmerin fungiert, muss ins Auge gehen. wenn es allein dazu dienen soll, ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu verschleiern. Für alle Berufe und Verträge über Arbeitsleistungen gilt, dass im Einzelfall die tatsächlichen Umstände der Tätigkeit darüber entscheiden, ob eine Selbstständigkeit oder eine Beschäftigung vorliegt. Dass dies nicht einfach durch das Dazwischenschalten einer Gesellschaft verhindert werden kann, hat das Bundessozialgericht laufend entschieden. In seiner Pressemitteilung vom 20.07.2023 wird das Thema kurz erläutert und auf drei in der PM verlinkte Revisionsverfahren verwiesen, in denen das Gericht erneut entschieden hat, dass immer die Gesamtabwägung aller Umstände und nicht ein einzelnes Kriterium zählt. "Daran ändert der Umstand nichts, dass Verträge nur zwischen den Auftraggebern und den Kapitalgesellschaften geschlossen wurden. Die Abgrenzung richtet sich vielmehr nach dem Geschäftsinhalt, der sich aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien und der praktischen Durchführung des Vertrages ergibt, nicht aber nach der von den Parteien gewählten Bezeichnung oder gewünschten Rechtsfolge."
Eine exemplarische Begründung findest sich in einem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (LSG) Ende 2022 (Az. L 9 BA 43/20): "Im Regelfall ist ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zum Auftraggeber (...) ausgeschlossen, wenn es sich bei dem Auftragnehmer (...) um eine rechtfähige Personengesellschaft wie z. B. eine OHG, KG, GmbH & C. KG, Partnerschaftsgesellschaft oder GbR handelt (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 24. November 2005, B 12 RA 1/04 R). Dies gilt jedoch nicht, wenn im Einzelfall die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung mit entsprechender Weisungsgebundenheit gegenüber den Merkmalen einer selbstständigen Tätigkeit deutlich überwiegen (hier bejaht)."
In einem anderen, rechtsgültigen Urteil aus 2024 (Az. L 9 BA 42/20) bescheinigte das gleiche LSG den Vertragsparteien, es deute "alles darauf hin, dass die 'Dienstleistungsvereinbarung' (...) unter Verkennung grundlegender Strukturprinzipien des Sozialversicherungsrechts abgeschlossen wurde". Bei der Reinigungskraft, die in einer Apotheke regelmäßig 18 Stunden pro Woche für eine Minivergütung putzte, sei "ein Unternehmerrisiko (...) nicht im Ansatz erkennbar". Die Reinigungskraft "'investierte' lediglich ihre Arbeitskraft mit der sicheren Aussicht auf wöchentliche Barentlohnung. Dass sie selbst Reinigungsmittel anschaffen musste und auch die meisten Reinigungsgeräte selbst stellte, kann nicht als relevantes Unternehmerrisiko angesehen werden. Im Wesentlichen wurde dadurch nur ihr ohnehin niedriges Gehalt vermindert." Die geringe Höhe des Entgelts spreche im Übrigen "deutlich gegen eine selbständige Tätigkeit".


  Link zu dieser Seite.Seite drucken