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Kleinunternehmen: Neue Grenze bei 22.000 €

Der neue Grenzwert greift bereits, wenn im Jahr 2019 diese Umsatzschwelle unterschritten wurde

Nachdem der Bundesrats am 8.11.2019 dem Bürokratieentlastungsgesetz III zugestimmt hat, ist der Weg frei für die Anhebung der Kleinunternehmensgrenze um knapp 26 Prozent: Die Jahresumsatzgrenze, ab der Unternehmen und Selbstständige Umsatzsteuer erheben müssen, steigt am 1.1.2020 um 4.500 € auf 22.000 €.  Nach Berechnungen des Wirtschaftsministeriums betrifft die Änderung rund 68.400 Steuerpflichtige.

Von der Erhöhung der Umsatzsteuergrenze, die im Detail im ‚Ratgeber Selbstständige‘ beschrieben ist, profitieren vor allem Selbstständige mit privaten und (Umsatz-)steuerfreien Kunden und das bereits für das Jahr 2019: Durch den Eingriff des Bundestags-Ausschusses für Wirtschaft und Energie (siehe hier) tritt die Neuregelung ein Jahr früher in Kraft als von der Regierung geplant. Damit bleibt oder wird Kleinunternehmer*in, wer im Jahr 2019 nicht über 22.000 € Umsatz gekommen ist. Wer allerdings im Jahr 2018 über einen Umsatz von 17.500 € gerutscht war, ist im Jahr 2019 umsatzsteuerpflichtig – auch dann, wenn der neue Wert von 22.000 € unterschritten wurde.

Informationen zur Kleinunternehmergrenze (und deren Wirkungen) stehen ebenso im ‚Ratgeber Selbstständige‘ wie die generellen Informationen zum Umsatzsteuerverfahren sowie den Vor- und Nachteilen einer Umsatzsteuerbefreiung.

Kalifornien: Beweislastumkehr bei Status von Gig-Arbeitenden

Neuregelung ist nicht auf Arbeitsvermittlungs-Plattformen beschränkt

In erster Linie sind die Gig-Economy-Unternehmen von einem Gesetz betroffen, das den kalifornischen Senat am 10. September mit einer Mehrheit von 29 zu 11 passiert hat. Stimmt der Assembly Bill 5 (AB5) nach dem Senat auch das Parlaments-Unterhaus zu, kann ab dem Jahr 2020 in dem wichtigen US-Bundesstaat Scheinselbstständigkeit effektiver bekämpft werden. Das Unterhaus hatte bereits Ende August mit 59 zu 15 Stimmen für das Gesetz gestimmt, daher wird hier eine Mehrheit erwartet.

Die Neuregelung ist nicht auf Internet-Firmen beschränkt, aber eindeutig auf das Modell von ausbeuterischen Arbeitsplattformen gemünzt. Damit werden insbesondere Uber und Lyft durch das Gesetz erfasst, das Scheinselbstständigkeit durch eine Beweislastumkehr begrenzen will. Die beiden ohnehin defizitären Plattformen rechnen nun mit Kostensteigerungen bis zu 30 Prozent, sollten sie ihren Beschäftigten Arbeitsrechte und gewerkschaftliche Organisation gewähren müssen. – Kein Wunder, dass die beiden Fahrdienstleister nach einem ORF-Bericht einen poltischen Kampffond aufgelegt haben. Gemeinsam mit dem Lieferdienst Doordash haben sie „90 Millionen Dollar zurückgelegt. Damit soll ein Referendum vorbereitet werden, um Ausnahmen für ihre Unternehmen zu erwirken“.

Die Folgen der Assembly Bill 5 (AB5) mögen für Plattformen eine Revolution sein, wie der Österreichische Rundfunk in seinem Bericht vermerkt, allerdings will der Gesetzgeber hier eigentlich eine Selbstverständlichkeit kodifizieren, nämlich „sicherstellen, dass Arbeitnehmer, die derzeit durch eine Fehlklassifizierung als unabhängige Auftragnehmer ausgebeutet werden, als solche anerkannt werden und die Grund- und Schutzrechte nach dem Arbeitsrecht bekommen.“

Die ver.di-Selbstständigen berichteten bereits am 30. August in einer Facebook-Meldung,  wie die AB 5 die Scheinselbstständigkeit und Diskussionen um den Status von Arbeitenden begrenzen soll: Durch eine schlichte Umkehr der Beweislast. Hierzu wird der vom Obersten Gerichtshof des Landes entwickelte „ABC-Test“ angewendet, der im Gesetz wie folgt aussieht:
„Eine Person, die gegen Entgelt Arbeit oder Dienstleistungen erbringt, gilt als Arbeitnehmer*in, es sei denn, der Auftraggeber weist nach, dass alle folgenden Bedingungen erfüllt sind:
(A): Der Erwerbstätige ist bei der Ausführung seiner Arbeit frei von der Kontrolle und Leitung des Auftraggebers.
(B): Die verrichtete Arbeit liegt außerhalb der üblichen Beschäftigungen im Betrieb oder des üblichen Geschäftsfelds.
(C): Der Erwerbstätige hat ein eigenes, unabhängiges Unternehmen oder Gewerbe und wird damit auch jenseits des aktuell beauftragten Jobs aktiv.“

Kurz: Wirtschaftlich abhängige Gig-Arbeiter*innen, die durch Apps kontrolliert das Kerngeschäft einer Plattformen verrichten, sind als normale Beschäftigte zu behandeln. Das festige die Position Kaliforniens als „Spitze für Arbeitsplatzrechte und setzt den Standard für den Rest des Landes“, freut sich die California Labour Foundation, in seiner Einschätzung der Senats-Entscheidung. Die sieht der Gewerkschafts-Dachverband, der auch eine Themenseite zum AB5-Gesetz erstellt hat, als „historischen Sieg“ und als „wirksamen Gegenpol zur Gier und Ausbeutung durch Unternehmen, die zu Ungleichheiten in aufstrebenden und traditionellen Branchen gleichermaßen führt“, weil Die falsche Klassifizierung von Arbeitnehmern als Selbstständige „einen korrosiven Effekt, der die gesamte Wirtschaft erfasst“ hat und Schutzgesetze untergräbt.

Die wenig überraschende Antwort von Uber kommt per Statement von deren Chef-Jurist Tony West: „AB5 schafft Fahrern keine Ansprüche, AB5 gibt ihnen nicht das Recht sich zu organisieren.“ Tatsächlich sage das Gesetz gar nichts zu den Fahrern. Zudem seien diese auch gar nicht im Kerngeschäft von Uber tätig. Das sei eben nicht, Fahrdienstleistungen anzubieten, sondern „als technische Plattform für verschiedenste digitale Marktplätze“ zu dienen.

Im Artikel Etappensieg für das digitale Proletariat in Kalifornien finden sich in der Tageszeitung ‚Neues Deutschland‘ weitere Hintergründe zum neuen Gesetz. Ein Artikel in The Verge geht auf die Uber-Reaktion ein.

GoBD: Neue Version der Grundsätze zur Buchhaltung

Lediglich kleinere Erleichterungen bei der elektronischen Buchhaltung

Die Finanzverwaltung hat ihre Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) modifiziert und heute das entsprechend geänderte BMF-Schreiben vom 11.7.19 (IV A 4 – S 0316/19/10003:001) veröffentlicht.

Der Steuerdienst Haufe Online hat sich die Änderungen bereits näher angeschaut. Demnach hat das Schreiben (mit immerhin 42 Seiten) die gleiche Gliederung und Randziffern wie die Vorversion aus dem Jahr 2014. Als echte Neuerungen macht der Finanzdienst drei Punkte aus:

  • Abfotografieren von Belegen (statt scannen) wird ausdrücklich erlaubt.
  • Nach der Konvertierung dürfen Original-Unterlagen (unter bestimmten Bedingungen) vernichtet werden.
  • Cloud-Anwendungen dürfen – stand-alone oder zusätzlich – für die Belege genutzt werden.

Worum es bei der ordnungsgemäßen Buchhaltung eigentlich geht und welche Anforderungen das an Solo-Selbstständige stellt erläutern wir kurz im Ratgeber-Selbstständigen-Text  zur GoBD.

Krankengeld auch bei ‚gestückelter‘ Arbeitsunfähigkeit

Niemand muss für den Anspruch sechs Wochen ohne Pause krank sein

Nach der Klage eines Selbstständigen hat sich das Bundessozialgericht (BSG) die Regeln zur Wartezeit eines Krankengeld-Wahltarifs noch einmal genauer angeschaut. In der Folge hat es mit einer alten Interpretation aufgeräumt und die Konditionen zum Anspruch verbessert: Freiwillig gesetzlich versicherte Selbstständige – die als Selbstständige durch Zahlung eines Zuschlags (von derzeit 0,6 %) eine mögliche Arbeitsunfähigkeit ab der siebten Woche versichert haben – müssen nicht sechs Wochen am Stück krank sein, um Krankengeld zu bekommen.

Im Streit zwischen der gesetzlichen Krankenkasse und dem selbstständigen Kläger ging es um die Interpretation der Regelung im Sozialgesetzbuch (§ 46 Satz 2 SGB V), wonach „der Anspruch [auf Krankengeld] von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an“ entsteht, wenn eine entsprechende Wahlerklärung vorliegt. Dieser Anspruch, betont das BSG im heutigen Terminbericht-Nachtrag zum Urteil vom 28. März (Aktenzeichen B 3 KR 15/17 R) , entsteht, sobald der oder die Selbstständige insgesamt 42 Tage wegen der derselben Krankheit ausgefallen ist, nicht erst nach einer ununterbrochenen sechswöchigen Arbeitsunfähigkeit.

Im Urteil führt das BSG aus (und vielleicht auch ein wenig den Gesetzgeber vor), rein sprachlich lasse die Formulierung im Gesetz „die Annahme, dass die Zeit vor dem Beginn der siebten Woche ein zusammenhängender Zeitraum von sechs Wochen sein muss zu“. Allerdings stehe im § 46 SGB V faktisch nichts, das konkret auf eine zuvor abgelaufene Frist verweise oder die Einschränkung auf zusammenhängende sechs Wochen deute. Damit entstehe der Krankengeldanspruch schlicht nach sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit wegen der gleichen Erkrankung, die auch durch Addition von Krankheitstagen zusammenkommen können.

Dies Urteil ist nicht nur für freiwillig gesetzlich krankenversicherte Selbstständige interessant. Da der Krankengeld-Anspruch der über die Künstlersozialkasse Versicherten im gleichen Satz des SGB-Paragrafen geregelt ist, dürften sie den gleichen Bedingungen in Sachen Krankheitszeit unterliegen. Und auch wenn das noch nicht so entschieden wurde, müsste darüber hinaus bei KSK-Versicherten die gleiche Logik greifen, sofern sie einen Wahltarif abschließen, der Leistungen bereits nach zwei Wochen Krankheit verspricht. Entsprechende Tarife, die ein Krankengeld „spätestens mit Beginn der dritten Woche der Arbeitsunfähigkeit“ vorsehen, müssen die Krankenkassen anbieten, regelt § 53 SGB V.

Sonderzahlungen werfen Steuerfragen auf

Maßnahmen gegen die Progressionswirkung „außerordentlicher“ Einkünfte

Die aktuelle, teilweise hohe Nachzahlung der Verwertungsgesellschaft (VG) Wort im Rahmen der Hauptausschüttung 2019 löst neben Freude auch Fragen aus. Unter Urheber*innen wird anscheinend darüber gerätselt, wie solche Sonderzahlungen steuerlich zu behandeln sind. Zumindest wird bei uns jetzt öfter nachgefragt. Auch, weil die steuerliche Deklaration der VG-Bild-Kunst-Zahlung aus 2018 bereits Ende Juli fällig ist. – Worum es im Grundsatz geht, steht in unserem Detailtext zu außerordentlichen Einkünften im Ratgeber Selbstständige. Den haben wir nun bis Ende Juli allgemein zugänglich gemacht und für die relevanten Veranlagungsjahre 2018 und 2019 einen einfachen Excel-Rechner erstellt. Der klärt, ob es sich lohnt, die sogenannte Fünftelregelung anzuwenden.

Wir gehen davon aus, dass die Tantiemennachzahlungen für mehrere Jahre grundsätzlich „außerordentliche Einkünfte“ im Sinne des § 34 EStG sind. Damit wäre die Fünftelregelung anzuwenden, die die steuerliche Progressionswirkung von Sondereinkünften dämpft. – Zu den im Gesetz priviligierten „Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten“ können nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) auch Nachzahlungen gehören. Jedenfalls dann, wenn Steuerzahler*innen keinen Einfluss darauf haben, wann genau das Geld fließt. Die Konstellation, die der BFH bereits 2006 entschieden (Az. IV R 57/05) hat, ist der bei den aktuellen VG-Zahlungen ähnlich: Damals wurden Honorare für mehrere Jahre nach einem Gerichtsurteil auf einen Schwung fällg, aktuell geht es um Rückstellungen die wegen Gerichtsverfahren gebildet wurden.

Die Fünftelregelung konnte in 2006 angewandt werden, weil die Honorar-Nachzahlung eine erhebliche Progressionswirkung ergab. Je nach Rechenergebnis kann es sich deshalb lohnen, das Finanzamt im Rahmen der Steuererklärung auch auf das Thema außerordentliche Einkünfte hinzuweisen. Ob es im Einzelfall der Bitte, die Fünftelregelung anzuwenden, entspricht, ist nicht abzusehen. Da hier immer erst einmal das eigene Finanzamt zuständig ist, kann das bundesweit zu unterschiedlichsten Auskünften und Bescheiden führen. Und dann wird im Zweifel mit Steuerberater*innen und gegebenenfalls per Widerspruch und Klage individuell zu klären sein, ob die eigenen Sondertantiemen begünstigt werden.

In Sachen Umsatzsteuer kann die Sonderzahlung ebenfalls Änderungen bringen: Einnahmen, die nach dem Zuflussprinzip behandelt werden, schaffen im Einzelfall Umsatzzahlen, mit denen die Kleinunternehmensgrenze von 17.500 € pro Jahr ungewollt gerissen wird. In Sachen VG-Wort-Tantiemen gibt es da im laufenden Jahr noch Gestaltungsmöglichkeiten, aber wer es nicht schafft, durch geringere Einnahmen und/oder die Verlagerung von Rechnungen ins Folgejahr den Umsatz zu drücken, wird zum 1.1.2020 (für mindestens ein Jahr) umsatzsteuerpflichtig.

Last not least: Während steuerlich die Klärung zu den außerordentliche Einkünften noch bis Juli 2020 Zeit hat, haben Aufstocker*innen sowie andere Bezieher*innen von ALG 2 und anderen Transfer-Leistungen damit aktuelle Probleme mit dem unerwarteten Geldsegen. Die melden sich zurzeit in größerer Zahl bei unserer Selbstständigenberatung und müssen den außerordentlichen Tantiemen-Zufluss in der Regel angeben und verrechnen. Das kann im Einzelfall heißen, dass die Tantiemen komplett futsch sind.

Stationäre Pflege und Medizin: meist nicht selbstständig

Bundessozialgericht sorgt mit Grundsatzurteil für Klarheit beim Status

Bei Pflegekräften, die in stationären Pflegeeinrichtungen tätig sind, ist die Arbeit nur in Ausnahmefällen selbstständig zu erledigen. Mit diesem Urteil hat das Bundessozialgericht (BSG) heute klargestellt: Ob jemand selbstständig oder scheinselbstständig beschäftigt ist, wird im Einzelfall nach Gesetz sowie den über Jahrzehnte entwickelten Kriterien zur Scheinselbstständigkeit entschieden. Der Berufsstatus ist also kein Wunschkonzert und selbstverständlich auch nicht vor allem von der Einkommenshöhe abhängig. Letzteres hatte das BSG vor drei Tagen noch einmal betont, als es für Honorarärzt*innen, die in Krankenhäusern arbeiten, ebenfalls feststellte, diese seien normalerweise sozialrechtlich abhängig Beschäftigte.

Zu beiden Grundsatzurteilen liegt das Urteil noch nicht im Volltext vor, aber bereits die BSG-Pressemitteilung zu den Pflegekräften wie zuvor die Pressemitteilung des BSG zu den Honoarärzt*innen stellt wortgleich klar, dass ein Mangel an Fachkräften keine gesetzlichen Regeln außer Kraft setzen könne, „um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen ‚entlastete‘ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.“ Wenn eine Tätigkeit nur eingegliedert in die Organisationsstruktur des Kunden (oder hier der Einrichtung) möglich ist, spricht bereits Vieles für eine Scheinselbstständigkeit. „Bloße Freiräume bei der Aufgabenerledigung, zum Beispiel ein Auswahlrecht der zu pflegenden Personen“ reichen nicht, eine freie unternehmerische Tätigkeit anzunehmen. Dazu gibt es bereits eine Vielzahl von höchstgerichtlichen Entscheidungen, jedoch noch nicht bei Krankenhaus- und Pflegestationen. Daher hatten sich beim BSG nun 15 Fälle angesammelt, die in dieser Woche komplett als „nicht selbstständig“ beschieden wurden.

Erfreulich ist neben der nun geschaffenen Klarheit im Medizin- und Pflegebereich auch, dass das Gericht zu dem Honorar*ärztinnen-Urteil noch einmal betont hat: „Die Honorarhöhe ist nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien.“ Auch dies ist rechtlich kein Neuland, die neuerliche Erwähnung der Honorarhöhe in einem zwei Jahre alten BSG-Urteil jedoch wurde und wird seitdem von wirtschaftnahen Verbänden immer wieder offensichtlich vorsätzlich missverständlich kommuniziert. (Siehe dazu auch unsere Klarstellung im ‚Ratgeber Selbstständige‘.) – Ob die Anmerkung zu den Honoraren auch im Text des heutigen Urteils steht, bleibt abzuwarten. Es ist jedoch wahrscheinlich, da scheinselbstständige Pfleger*innen inzwischen  ebenfalls oft weit höher vergütet werden als angestellte Kolleg*innen.

Bearbeitung wissenschaftlicher Texte ist KSK-fähig

Bundessozialgericht beendet Diskriminierung mit einem Grundsatzurteil

Foto: Bundessozialgericht | Dirk Felmeden

Für einen kleinen Paukenschlag hat das Bundessozialgericht (BSG) am 4. Juni nicht nur bei Honorarärzt*innen gesorgt. Am gleichen Tag hat es entschieden, dass hauptberufliche Lektor*innen und Übersetzer*innen wissenschaftlicher Texte in der Regel Anspruch auf die Versicherung über die die Künstlersozialkasse (KSK) haben. Die Versicherung wurde ihnen in der Vergangenheit stets mit dem Hinweis darauf verwehrt, dass nur literarische und journalistische Texte sowie deren umfassende Bearbeitung von der Definition „Schriftsteller, Journalist oder in ähnlicher Weise publizistisch tätig“ im § 2 des Künstlersozialversicherungsgesetzes umfasst seien.

Schon der BSG-Terminbericht zum Urteil findet deutliche Worte zur bisherigen Praxis: „Ein genereller Ausschluss des Lektorats für wissenschaftliche Texte ist nicht gerechtfertigt. Insbesondere ist im Hinblick auf den eigenschöpferischen Gehalt der Tätigkeit kein grundsätzlicher Unterschied zum stilistischen Lektorat erkennbar. Auch bei Übersetzungen ist eine Differenzierung zwischen belletristischer und wissenschaftlicher Literatur grundsätzlich nicht angezeigt. Übersetzungen von Literatur in diesem weitgefassten Sinn gehören in der Regel … zu den publizistischen Tätigkeiten.“

Die Gewerkschaft ver.di erwartet nun, dass weit weniger Menschen die Mitgliedschaft in der Künstlersozialversicherung allein deshalb versagt wird, weil ihre publizistischen Leistungen zu einer wissenschaftlichen Veröffentlichung beitragen statt zu einem Werk der belletristischen Literatur jedweder Provenienz und Qualität. „Die entsprechende Beschränkung des Begriffs Publizistik war ein ständiges strittiges Thema im zuständigen Wiederspruchsausschuss“, erläutert Gunter Haake vom ver.di-Referat für Selbstständige, der auch als Vertreter der Versicherten in diesem Ausschuss wirkt. Dort habe er „den nun höchstrichterlichen Standpunkt bislang leider meistens erfolglos vertreten“.

Update: Das Urteil mit dem Aktenzeichen B 3 KS 2/18 R ist inzwischen im Volltext veröffentlicht.

‚Rürup‘-Rente soll zukünftige Vorsorgepflicht erfüllen

Heil: Gesetzentwurf zur Altersvorsorge Selbstständiger kommt Ende 2019

Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil kündigte heute in der Zeitung Rheinisch Post  an, in Sachen Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf vorzulegen. Wie erwartet könnte damit die im aktuellen Koalitionsvertrag vereinbarte Versicherungspflicht in 2020 oder 2021 umgesetzt werden.

Wie in diesem Vertrag zwischen CDU/CSU und SPD vereinbart, sollen Selbstständige ausgenommen werden, die bereits anderweitig – etwa in einem berufsständischen Versorgungswerk – vorsorgen. Neu ist, dass er ausdrücklich auf die Rürup-Rente als sogenannte Opt-Out-Lösung für diejenigen verweist, die nicht in die gesetzliche Rentenversicherung eintreten wollen. Gleichzeitig kündigte Heil für den Mai einen Gesetzentwurf zur sogenannten Grundrente an, die langjährig Versicherten eine Mindest-Rentenhöhe sichern soll. Dabei müsse auch für langjährig Selbstständige gelten, „dass man nach einem Leben harter Arbeit abgesichert ist. Deshalb ist es auch für Selbstständige wichtig, dass wir vorher die Grundrente einführen“.

Mit der Festlegung auf die (offiziell Basisrente genannte) Rürup-Rente setzt das Ministerium ausdrücklich auf die einzige Kapitalanlage, die derzeit die im Koalitionsvertrag genannte Voraussetzung erfüllt, im Alter auch zur Verfügung zu stehen, wenn die Erwerbstätigkeit krisenhaft verläuft. Anders als etwa bei einer privaten Rentenversicherung, muss das angesparte Kapital nicht „verbraucht“ werden, bevor es Arbeitslosengeld II gibt, zudem ist es im Insolvenzfall vor Pfändung geschützt ist.

Details zur Rürup-Rente finden sich in unserem Ratgeber Selbstständige.

Ungleiche Einkommen bei Selbstständigen

Am oberen und unteren Ende der Verteilung überrepräsentiert

„Die breite Masse der Selbstständigen steht nicht besser da als abhängig Beschäftigte. Am unteren Ende der Verteilung sind Selbstständige sogar übermäßig häufig anzutreffen“, stellt eine neue Studie des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) nüchtern fest und zudem: „Selbstständige sind sowohl am oberen als auch am unteren Ende der Verteilung überrepräsentiert“. Nur auf den ersten Blick verblüffend zeigt die folgende Analyse, dass ein Anstieg der Selbstständigkeitsrate in Deutschland mit einem Anstieg der Ungleichheit einhergeht. Insbesondere führe „eine Ausweitung der Soloselbstständigkeit zu einer Verschlechterung der Einkommenssituation am unteren Ende der Verteilung“.

Auf Grundlage dieser Basis-Befunde regt das IfM an, in dieser Richtung weiter zu forschen und dabei unterschiedliche Tätigkeiten im Detail zu analysieren. Gleichzeitig sieht sich der Autor bemüht, noch einmal ausdrücklich darauf zu verweisen, „dass Soloselbstständigkeit nun nicht per se schlecht ist“, springt aber leider in den Schlussfolgerungen auch auf die in der Wissenschaft zunehmend beliebte Argumentationsschiene auf, es bedürfe für sozialpolitische Maßnahmen „zusätzlicher Analysen, die das gesamte Markteinkommen eines Haushalts berücksichtigen“. Zielführender ist hier sicher die zweite Erwägung: „Unter Umständen müssen auch die Selbstständigen am unteren Ende der Einkommensverteilung stärker vor Ausbeutung geschützt werden.“

 

„Haus der Selbstständigen“ angekündigt

Stärkung der Interessenvertretung für Selbstständige im Fokus

Heute hat das Bundesarbeitsministerium (BMAS) das schon länger angekündigte Förderprogramm „Zukunftszentren“ vorgestellt. In der BMAS-Pressemitteilung wird auch ein „Haus der Selbstständigen“ kurz erläutert. Es soll im Rahmen des Programms mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) entstehen.

Bei dem „Haus der Selbstständigen“ geht es nicht – wie der Name vermuten lässt – um weitere Gründungszentren, sondern im Idealfall um die Schaffung einer Kommunikationszentrale zwischen verschiedenen Verbänden und Gewerkschaften, die die Interessen von Selbstständigen vertreten. Insgesamt, so beschreibt der ESF das „Haus“, sollen dort „Informationen zur Gründung von Interessenvertretungen und zu selbstregulierenden Verfahren bereitgestellt werden, um die Vergütungssituation, Arbeitsbedingungen und soziale Sicherung von Solo-Selbstständigen und Plattformbeschäftigten zu verbessern.“

Wortgleich wurde dieses Beschreibung bereits Mitte November 2018 in der „Strategie Künstliche Intelligenz“ der Bundesregierung vorgestellt. Zu den Zukunftszentren – und das gilt dann auch für das Haus der Selbstständigen – heißt es dort, sie würden „in den ostdeutschen Bundesländern modellhaft erprobt, anschließend sollen sie auch deutschlandweit ausgebaut werden“. Die ver.di-Selbstständigen, deren Schwerpunktthemen ja bereits diejenigen sind, die in dem „Haus“ besprochen werden sollen, kündigten in ihrem Facebook-Auftritt für Selbstständige an, sich „an der Diskussion zum Thema beteiligen“ zu wollen.